Woran glaubst Du?
Erstellt von r.ehlers am Dienstag 13. Juni 2017
In den ersten Fernsehprogrammen (ARD) läuft gerade vom 11.- 17.6.2017 die Themenwoche:
Woran glaubst Du?
Bei der Gretchenfrage, wie man es denn mit der Religion halte, ist immer Vorsicht geboten, weil sich die meisten Glaubensrichtungen die Mission, die Verbreitung ihres spezifischen Glaubens, auf ihre Fahnen geschrieben haben und da sie zu diesem Zwecke oft wenig zurückhaltend, sondern aufdringlich, lästig, bestimmend und manipulativ sind.
Au den ersten Blick klingt die Frage, was man denn glaubt, ganz harmlos. Sie ist es aber nicht, denn sie suggeriert wie selbstverständlich, dass jeder Mensch an „etwas“ glaube oder gar an etwas glauben müsse.Man soll gleich zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Fragesteller mit ihm eins sein, dass man gar keine Wahl hätte, zu glauben oder nicht. Die Frage nach dem richtigen Glauben wird damit auf listige Weise beschränkt auf die richtige Auswahl unter den vielen existenten Glaubensmöglichkeiten.
Die ARD will natürlich nicht einseitig erscheinen und holt sich Hilfe aus der Philosophie: Der Ethiker Professor Dr. Markus Thiedemann aus Dresden stellt es in ihrem Auftrag so dar, als ob es ganz logisch sei, dass kein Mensch anders könne, als sich ein Wunder am Anfang aller Dinge vorzustellen (http://www.ard.de/home/themenwoche/Professor_Dr__Tiedemann___Der_neue_Gott_heisst_Konsum_/4124966/index.html). Wie kommt er nur auf die Idee, dass gesichert sei, dass der Menschen mit seinen geistigen Fähigkeiten dem wahren Verständnis der Welt auch nur nahe kommen könnte? Wenn das nicht gesichert ist, liegt es dann nicht nahe, die Unlösbarkeit des Problems zu erkennen und – bis zum Beweis des Besseren – keinen Glauben an eine spezifischen Schöpfung, einen Gott oder was immer zu haben? 70 % der ehemaligen Bewohner der DDR denken noch heute so.
Professor Dr. Thiedemann benennt die große Mehrheit der Menschen seines Umfeldes in Dresden als Atheisten. Krassen Atheisten in seinem Sinne, die nicht einmal an das Wunder der Schöpfung glauben wollen, nimmt er ihre Glaubenslosgkeit einfach nicht ab. Er erklärt:
„Ein überzeugter Atheist ist jemand, der glaubt, es gibt eine befriedigende Welterklärung ohne die Annahme eines unbegreiflichen Wunders. Allein, das gelingt nicht. Nehmen wir den Urknall. Ob wir nun Urknall sagen oder einen Gott annehmen, der sagte „Es werde Licht!“ – beides ist ein wissenschaftlich unbegreifliches Wunder.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir Glauben gänzlich aus dem menschlichen Denken verbannen können. Ich kann die Möglichkeit einer Transzendenz nicht ausschließen und mein Geist bringt diese regulative Idee mit Notwendigkeit hervor. Ich bin wohl ein Agnostiker.“
Wie kommt er nur auf die Idee, dass es eine „befriedigende Welterklärung“ geben müsste? Der Umstand, dass wir Menschend als das erste und bisher einzige Wesen aus der Natur zum abstrakten Denken fähig sind und dass wir daher auch möglicherweie regulative Ideen entwickeln können, führen nicht notwendig in eine Nähe zum Glauben. Den Glauben dagegen „gänzlich aus dem menschlichen Denken zu verbannen“ ist natürlich gar kein Thema. Wer wie Tiedemann seinen geistig-kritischen Ausgangspunkt nicht verlässt uns sich nicht blind in einen Glauben stürzt, akzeptiert letztlich sein Unwissen und ist damit zwangsläufig ein Agnostiker, wie ihn der große Philosoph Bertrand Russel in seinem immer noch unübertroffenen Buch „Warum ich kein Christ bin“ aus dem Jahre 1927 treffend beschrieben hat.
Ein „richtiger“ Agnostiker ist schließlich kein Atheist, denn die Annahme, dass es einen Gott, eine Schöpfung oder was immer an Jenseitigem existieren mag, definitiv nicht gibt, kann niemand aus seinem beschränkten Erkenntnisvermögen heraus gewinnen. Die große Zahl der heutigen Menschen, die bekennen, dass sie zu all den „Fragen nach den letzten Dingen“ keine Antwort haben, sollte man daher auch nicht weiter mit dem Etikett der Gottesleugner oder Atheisten belegen. Was sie für wahrscheinlicher halten, ist eine andere Frage. Wieder eine andere Frage ist die nach der Wirkung, die der Glaube auf den Einzelnen und auf die menschliche Gemeinschaft hat. Die Geschichte der großen Religionen zeigt da bkanntlich kein attraktives Bild.
Nur am Rande: Erinnert Sie die Fragestellung nach dem eigenen Glauben nicht auch ein wenig an die Zumutung an den Wähler in der paralmentarischen Demokratie, dessen Mitspracherecht darauf beschränkt ist, alle 4 Jahre eine Auswahl unter den ihm präsentierten Kandidaten zu treffen – aber in den entscheidenden Sachfragen nicht gehört wird? Was aber, wenn der Fortschritt davon abhängt, dass die Verfassung des Staates endlich das Volk als den eigentlichen Souverän in die Lage versetzt, die Leitlinien der Politik selbst zu bestimmen? Ist nicht nach aller Erfahrung immer das Volk, solange es nicht von Autokraten und Despoten verhetzt ist, weit mehr aus auf Gerechtigkeit, Frieden und Zusammenarbeit als die gewählten Politiker?