Politische Einstellung und Lebensgestaltung
Erstellt von r.ehlers am Freitag 2. Juni 2017
Während die meisten anderen Säugetiere ihre Jungen so zur Welt bringen, dass ihnen ihre wichtigsten Werkzeuge zum Überleben sofort nach der Geburt einsatzbereit zur Verfügung stehen, kommen wir nach langer Tragezeit sehr unfertig aus dem Mutterleib. Schon eine Stunde nach der Geburt steht eine Antilope so sicher auf ihren Beinen, dass sie der grasenden Herde folgen kann und sehr bald rennt sie so schnell, dass Raubtiere sie nur schlecht einholen können. Wir Menschen dagegen müssen uns im Säuglingsalter und bis weit in die Kindheit hinein von der Mutter und der Menschengruppe, in die hinein wir geboren sind, alles abschauen, was uns bei der Bewältigung des Lebens helfen kann.
Bild: CC via Wikipedia
In der Ausbildung einer individuellen Persönlichkeit ahmt der neue Mensch zunächst nur äffisch alles nach, was seine Bezugspersonen ihm vormachen. Grundlegende Einstellungen im Leben einschließlich der Art und Weise der Begegnung mit den Mitmenschen werden in diesen Jahren festgeschrieben, etwa ob der neue Mensch eher brav, zaghaft und vorsichtig oder mehr ein Draufgänger ist, oder ob er entweder gutgläubig und vertrauensselig ist oder eher kritisch und rebellisch. Dies ist auch die Zeit, in der neben der Religion und der Anhänglichkeit zum im eigenen Umfeld meistgeliebten Fußballverein die politischen Grundeinstellungen mehr oder minder stark eingebrannt werden. Je nach der persönlichen Lebensgeschichte werden diese Einstellungen aber im Laufe der Jahre oft im Kopf umgeschrieben. Menschen, die in der Jugend liberal und sozial dachten schwenken im Alter oft ins konservative Lager.
Leider sind die politischen Begriffe sehr vage. Ohne eine klare gemeinsame Vorstellung davon, was man mit liberal, konservativ, sozial, fortschrittlich – progressiv, radikal und all den anderen politischen Grundeinstellungen meint, können wir miteinander in der Politik nicht reden. Im Vergleich der einzelnen Einstellungen ergeben sich insbesondere daraus Schwierigkeiten, dass sie sich auf ganz unterschiedlichen Bereichen bewegen.
Da ist aber unschwer Klarheit zu schaffen:
Konservativ ist eine politische Einstellung, die bestehende Verhältnisse bewahren will. Dies beschreibt eine besondere Methode und ist kein besonderer Wert wie z.B. die Würde des Menschen, seine Unversehrtheit und bürgerliche Freiheit. Wenn die herrschende Politik sozial oder unsozial ist, demokratiefreundlich ist oder die Partizipation der Bürger am politischen Geschehen klein halten will, die Macht des Staates über Einzelinteressen stellt oder wenn sie wie die Liberalen einen schwachen Staat will, der den Privaten und insbesondere der Wirtschaft alle denkbaren Freiheiten einräumt – konservativ ist immer die Haltung, die den Status Quo erhalten will.
In diesem Sinne ist gut verständlich, dass ein Mensch, der ein höheres Maß an Wissen oder gar Weisheit im Leben ansammelt, Veränderungen immer erst mit Skepsis begegnet –was aber eben nicht heißt, dass er in der Sache nicht fortschrittlich-progressiv gesonnen ist und auch radikalen Lösungen zugeneigt ist, wenn die herrschende Politik gegenüber notwendigen Verbesserungen blind ist. Die Radikalität ist wie der Konservatismus keim Wert in sich, sondern eine besondere Methode des politischen Vorgehens. Innerhalb eines konservativen Umfelds Reformen zu fördern oder in einem radikalen Milieu für ein maßvolles Vorgehen einzutreten, erfordert politischen Mut, bzw. Zivilcourage, wie Kennedy dies nannte.
Auch in unserer noch reichlich unvollkommenen Demokratie hat jeder von uns die Möglichkeit, sich als der zoon politicon zu erweisen, von dem Platon in seinem großen Werk vom Staat schrieb.
Auf die heutige Situation in der Bundesrepublik Deutschland bezogen heißt dies, anzuerkennen, dass in unserem Land niemand mehr zu hungern braucht (auch wenn immer mehr Menschen zur „Tafel“ gehen müssen), dass wir seit Jahrzehnten eine große Sicherheit im Inneren genießen (trotz der Übergriffe der RAF, der Neonazis und der islamistischen Terroristen), das wir die Schulmittelfreiheit haben und dass die Wege zum akademischen Studium auch weniger Reichen offen stehen, dass die Todesstrafe endgültig abgeschafft ist und die Rechte aller Minderheiten, auch derer mit besonderer sexueller Prägung, sicher sind. Nach meiner Einstellung gilt es, insoweit konservativ zu sein, ansonsten aber dem System die Stirn zu bieten.
Auf der anderen Seite hat sich unser Staat in den letzten Jahrzehnten als einseitiger Förderer mächtiger Wirtschafts- und Geldinteressen erwiesen, auch gegen die Interessen der Allgemeinheit und der Arbeitnehmer. Die Parteien, die in dieser Zeit die Regierung bestellt haben, sind allenfalls zu kosmetischen Änderungen des von ihnen geschaffenen Systems bereit. Dabei brauchten wir es in Fragen der sozialen Gerechtigkeit nur so zu machen wie die Skandinavier, im Gesundheitswesen wie die Niederländer und im Rentenwesen wie die Österreicher -deren Renten doppelt so hoch sind wie die unsrigen! Von den Österreichern können wir noch die Friedfertigkeit übernehmen. Was sollen wir auf Trumps Forderung eingehen, 2 % unseres gesamten Bruttosozialprodukts für militärische Zwecke auszugeben, wo wir doch gar keine Feinde in der Welt haben (nur eigensinnige Freunde).