Incredible Edible – Gesunde Nahrung für alle
Erstellt von r.ehlers am Dienstag 5. Juli 2016
Blick auf Todmorden vom Golfplatz aus.
Die nordenglische Kleinstadt Todmorden in der Nähe der früheren Tuchstadt Manchester ist dabei, Geschichte zu schreiben.
Vor 12 Jahren fing es an, dass ein kleiner Kreis gesundheitsbewusster Bürger der Stadt Schritt für Schritt die ganze Stadt mit jedermann frei zugänglichen Obst- und Gemüsegärten überzog. Unerschrocken, aber mit stillschweigender Duldung der örtlichen Behörden und der Unterstützung praktisch der ganzen Bürgerschaft pflanzten sie frische Kräuter, knackiges Gemüse, leckere Beeren und Obst überall an, wo in der Stadt ein Fleckchen frei war, z.B. rund um öffentliche Gebäude, Schulhöfe, Parkplätze, Sporteinrichtungen und Brachflächen. Der Clou ist, dass jeder Bewohner der Stadt frei ist, sich dort zu nehmen, was er braucht. All die herrlichen Lebensmittel kosten nichts. Möglich ist das, weil die Initiatoren und Betreiber der in der ganzen Stadt verteilten 70 großen und noch mehr kleinen Obst- und Gemüsebeete ehrenamtlich tätig sind.
Bild: http://www.incredible-edible-todmorden.co.uk/
Rückkehr zur alten Gartenkultur
Inzwischen ist Todmorden die erste Stadt Großbritanniens, die sich mit frischen Gartenprodukten komplett selbst versorgt. Ein besseres Beispiel für Autonomie und Autokratie ist kaum vorstellbar.
Man bedenke einmal, dass all das die Bürger nicht kostet: grüner Salat, Endiviensalat, Mangold, Fenchel, Zwiebeln, Kartoffeln, Rot- und Weißkohl, Blumenkohl, Brokkoli, Tomaten, Paprika, Karotten, Erbsen, Bohnen, Gurken, Rhabarber, Fenchel, Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Kirschen, Äpfel, Birnen, Quitten, Pflaumen, Aprikosen, Pfirsiche, Petersilie, Schnittlauch, Dill, Maggikraut, Thymian, Rosmarin, Basilikum und jährlich mehr. Bei diesem großzügigen Angebot haben die Bürger der Stadt wieder vermehrt die alten Wege der Konservierung von Gemüse und Obst aufgegriffen.
Es ist unglaublich (incredible), was die Bürger mit diesem Angebot an Ausgaben für Lebensmittel das ganze Jahr über einsparen! „Incredible edible“ heißen daher auch das System und das Team, das zunächst ganz Todmorden umgekrempelt hat und nunmehr auch viele andere Städte dazu inspiriert, die Grundlagen der Gartenkultur wieder in die städtische Welt zu holen. Wir hatten früher doch alle Obst-und Gemüsegärten am Haus oder als Schrebergarten und versorgten uns mit frischen Gartenfrüchten selbst! Bis in die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg gab es in den Ggeschäften kein Obst und Gemüse zu kaufen.
Eine kleine Anekdote: Meine Eltern betrieben nach Kriegsende in einer westfälischen Kleinstadt in der Größe des heutigen Todmorden ein Lebensmittelgeschäft namens „Kolonialwaren Kuno Ehlers.“ Nach der Währungsreform von 1948 bot ihr örtlicher Konkurrent, der gewerkschaftseigene Konsum seinen Kunden auf einmal Obst und Gemüse an. Als meine Mutter das hörte, rief sie voller Überraschung aus: „Was soll das denn? So was hat man doch im Garten!“
Sozialökonomische Revolution
In Todmorden tritt zur Gartenkultur aber noch eine sozialökonomische Komponente, wie es sie in aller Geschichte wohl kaum jemals gegeben hat. Die großen Lebensmittekonzerne werden die Entwicklung sicher mit großem Argwohn beäugen. Aber sie werden es überleben, wenn sie sich noch mehr als bisher auf den Verkauf fertig zubereiteter Gerichte stürzen, um im Einklang mit dem obersten Prinzip der freien Marktwirtschaft ihren Umsatz immer weiter zu erhöhen (Wirtschaftswachstum).
Ganz nebenbei hat man festgestellt, dass das Projekt von Todmorden nicht nur die Unabhängigkeit von der Lebensmittelversorgung brachte, sondern dass auch der Zusammenhalt unter den Bürgern viel besser wurde und die früher nicht unbeträchtliche Kriminalität zurückging.