Ganzheitlich – Sinn und Unsinn
Erstellt von admin am Dienstag 12. März 2013
Sachbezug: Erkenntnisfragen zur Gesundheit, falsche Propheten
Zenon von Kition, Gründer der Ganzheitsphilosophie
de.wikipedia.org
Sechsphasiges Ganzheitsmodell
Wer bemüht ist, mehr darüber zu erfahren, wie er gesund bleiben oder werden kann, stößt unweigerlich bald auf Lehrmeister, die uns drängen, die Welt unter einem neuen Aspekt zu sehen: der Ganzheitlichkeit oder des Holismus, der dasselbe meinen soll. Es gibt heute Ganzheitliche Strömungen auf allen Gebieten. Besonders ragt heraus die ganzheitliche Medizin, die immer mit genannt wird aber nicht identisch ist mit der alternativen und der Komplementärmedizin.
Wenn die klugen Leute es nur auf neue Erkenntnisse abgesehen haben, kann Sie das zunächst relativ kalt lassen. Regelmäßig wollen die selbsternannten Welterklärer aber nichts anderes als Ihr Geld! Bevor Sie sich von ihren Sprüchen einwickeln lassen, schlage ich vor, dass Sie sich ein wenig über Sinn und Unsinn der Ganzheitlichkeit informieren. Sie werden staunen, wie schnell Sie mit diesem Thema fertig sind, denn was wirklich „dran“ ist am Thema, ist schnell erklärt. Der Rest ist dummes Zeug!
Eine Selbstverständlichkeit: Ganzheitlich leben und ganzheitlich heilen
An der Erkenntnis des Aristoteles:
„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“
kommt kein logisch denkender Mensch vorbei. Daran haben auch die Philosophen Leibniz und Hegel mit ihren Theorien festgemacht. Wie kann man denn auch übersehen, dass vielfach in Natur und Technik komplexe Wirkzusammenhänge bestehen, die erst aus vielen Teilen funktionierende Einheiten machen. Aber das heißt doch nicht, dass alles mit allem auf die gleiche Weise verbunden ist!
Leider hat die moderne Arbeitsteilung gerade im Gesundheitswesen dazu geführt, dass häufig Spezialisten innerhalb ihrer Sparte alles und außerhalb fast gar nichts wissen. Wer als einziges Werkzeug einen Hammer hat, greift wie von selbst zum Nagel als einziger Lösung technischer Aufgaben. Der eine Arzt sucht und findet nur Störungen der Leber, der andere hat es mit der Lunge oder dem Herzen. Dabei geht das sichere Wissen unter, dass im Körper, im Gemüt und im Geist unendlich viele Dinge ineinander greifen. Mit der Reduktion auf einzelne Abläufe gehen wir an lebenswichtigen naturgegebenen komplexen Abläufen vorbei.
In diesem Zusammenhang ist es auch richtig, dass wir in der Ernährung darauf achten, zusammengehörende Komponenten nicht zu trennen. Wenn wir feststellen, dass bestimmte Mikronährstoffe nur in der Kombination miteinander gut aufnehmbar sind und im Körper optimal verwendet werden können, müssen wir aufhören, sie zu isolieren und als Konzentrate aufzunehmen. Das Wissen um den Wert dieser Erkenntisse ist allerdings allgemein, wenn es auch leider sehr oft missachtet wird. Aber ein Grund, aus solchen Erkenntnissen einen neuen „…ismus“, den Holismus zu machen, besteht nicht. Wenn ich gegen die Weltregierung einer New World Order und für den Nationalstaat bin, bin ich ja auch nicht gleich ein Nationalist!
Falsche Verallgemeinerung ganzheitlichen Denkens
Zu erklären, dass a l l e Dinge nur aus Gesamtzusammenhängen heraus zu verstehen wären, wie es der Holismus tut, ist ebenso offensichtlich falsch wie es richtig ist, dass es sehr viele Gegebenheiten sind, in denen die Reduktion auf einzelne Sachumstände den Blick auf die volle Erkenntnis verstellt. In der Sprache der Philosophie geht der Holismus davon aus, dass „die Elemente eines Systems – einer ‚Ganzheit‘ oder ‚Gestalt‘ – durch strukturelle Beziehungen v o l l s t ä n d i g bestimmt sind“. Dabei weiß jeder, dass es unerlässlich ist, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Nicht alles, was beispielsweise in der Natur bei einer biochemischen Reaktion üblicherweise zugegen ist, hat auch Einfluss auf die Wirkung.Es gibt natürlich neben schädlichen auch unbeachtliche Nebenwirkungen. Das kann doch kein Thema sein!
Haben wir nicht die Nase voll von den einseitigen Übertreibungen, die durch all die schrecklichen “ismen” in die Welt gebracht worden sind? Was spricht gegen das Nationalgefühl? Der Nationalismus. Wie wird Kapital zur gefährichen Waffe? Im Kapitalismus. Wie diskretitiert man am Besten die Bemühungen um sozialen Ausgleich? Durch den Sozialismus. Genauso pervertiert man die wichtige Erkenntnis, dass in unserer Welt wichtigste Dinge auf komplexe Weise miteinander verknüpft sind, indem wir behaupten, dass alles mit allem vernetzt ist und es am Ende nirgendwo eine Vielheit gibt, sondern nur eine Einheit. Das hat die Qualität einer Ersatzreligion!
Es kann daher durchaus auch so sein, dass ein Stoff, der in der Natur nur zusammen mit anderen Stoffen auftritt, seine besonderen Wirkungen erst nach der Trennung von ihnen – u.U. auch nur in besonderer Konzentration – entfaltet. Nahrungsergänzungsmittel und Medizin, die isolierte Stoffe verwenden, können daher je nach Lage der Dinge hilfreich sein oder auch nicht.
Ohne die Fähigkeit, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, kämen wir mit unserem Verstand nicht weit. Aber schauen Sie einmal hin, wie die selbsternannten Lehrmeister der Ganzheitlichkeit ihr System „verkaufen“. Sie stellen sehr bald fest, dass sie die fehlende Substanz nur mit hohlen Sprüchen zukleistern, damit nicht jeder gleich erkennt, dass nichts Sinnvolles dahinter steckt.
Leimruten der Ganzheitslehrer
Versuchen Sie einmal, bei Ganzheitslehrern zu erfahren, was nach ihrer Meinung denn mit „ganzheitlich“ oder „holistisch“ überhaupt gemeint ist. Altstrategen wie Dr. Ruediger Dahlke oder sein Lehrer, der Sektengründer Thorwald Dethlefsen, halten ein ganzes System an selbst erdachten angeblichen Naturgesetzen vor (Schicksalsgesetze, Resonanzgesetz, Gesetz der Polarität, Schattengesetz, Gesetz vom Anfang und vom Ende, usw.), ohne die nach ihrer Meinung die Welt, das Leben und insbesondere das Phänomen der Krankheit nicht verstanden werden können. Die Schlussfolgerungen sind oft geradezu hanebüchen. Beispielsweise heißt es bei Dahlke, dass jeder die Krankheit kriegt, die er verdient hat. Irre, nicht? Unabhängig von solchen Entgleisungen sind seine Sprüche aber insgesamt ohne jeden Anspruch auf Plausibilität und Logik regelrecht zusammengeschustert.
Meist geben sich die Ganzheitslehrer nicht so viel Mühe. Ich greife einmal heraus die schweizerische „Akademie für Naturheilkunde (AKN)“, die zum Aktionsfeld des “Zentrums der Gesundheit“, der „Gesellschaft für Ernährungsheilkunde GmbH“, der Geschäftsführerin Iris Muthmann, ihres Ehemanns Edgar Muthmann, der ZDG GmbH Websolution in Sinsheim , der Neosmart Consulting AG, der redGLtd., der Mind Team AG, Zürich, der Fair Trade Handels AG aus Sarnen/s.Obwalden in der Schweiz und des auch an endlos vielen Projekten beteiligten schweizerischen Unternehmer Heinz Boksberger gehören.
Iris Muthmann spielt eine Schlüsselrolle. Sie ist die Gründerin der besagten Akademie. Nach Firmenangaben entschied sie sich im Jahre 2011, ihre „Rechte zur Ausbildung zum Fachberater für holistische Gesundheit“ an die Fair Trade Handels AG zu übertragen. Aus den Prospektunterlagen ergibt sich, dass allerdings sie allein die Geschäfte betreibt und Auskünfte erteilt.
Dass das „Zentrum für Gesundheit“ die Verbraucher regelrecht „abzockt“, hatte ich schon vor einigen Tagen hier geschrieben:
http://www.essenspausen.com/mit-teurem-inka-gold-zum-meister-des-seelenlebens/
In unserer Zeit, in der gute Einkunftsmöglichkeiten immer seltener werden, werden Berufe attraktiv, die keine besondere Ausbildung kennen, bzw. wo wirklich jeder daherkommen und eine Ausbildung anbieten kann. So auch die Akademie für Naturheilkunde, die nach der – kaum glaubhaften – Selbsteinschätzung besetzt ist mit erfahrenen Ernährungsberatern, Biologen und Ökotrophologen, die angeblich „seit vielen Jahren im Bereich der ganzheitlichen Ernährungs- und Gesundheitslehre tätig sind“.
Wer diesen Leuten auf den Leim geht, zahlt für ein 6-monatiges Fernstudium mit 6 Modulen einschließlich Fernprüfung im Multiple-Choice-Verfahren (70 % richtige Antworten reichen!) mit Zertifikat und Rundstempel des Zentrums der Gesundheitzum
Fachberater für holistische Gesundheit
sage und schreibe genau 1.950,00 €! Für den vergleichsweise läppischen Betrag von 350,00 € kann man, wenn man es bis zum Berater schafft (wie könnte man denn das auch verfehlen?) ein zusätzliches Berater-Modul kaufen. O-Ton: „Dieses separate Modul bietet den ausgebildeten FachberaterInnen für holistische Gesundheit die Möglichkeit, sich in ihren ersten 10-Klienten-Beratungen die Unterstützung der Akademie der Naturhelkunde einzuholen. Hierzu werden die von den FachberaterInnen ausgearbeiteten Klienten-Fragebögen uns zur Überprüfung, Korrektur oder ggf. zur Ergänzung fehlender Informationen zugesandt.“
Erst Fernausbildung, dann auch noch Fernheilung!
Zu guter Letzt: Ein Blick ins Probemodul
Kapitel 3 des Moduls („unit“) Nr. 2 erläutert wie folgt, dass das Herz mehr sei als eine Pumpe:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“
Aus „Der Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry
…
Das Herz ist nicht nur Pumpe, sondern viel mehr. Es beeinflusst das Gehirn, unsere Gefühle, unseren Hormonhaushalt etc. Alles ist miteinander vernetzt und verbunden [sic!]. Alles ist eine Einheit …
Nur allzu oft wird das Herz auf diese seine Pumpfunktion reduziert. Das Herz ist jedoch viel mehr – wie das oben genannte Zitat erahnen lässt. Wir alle wissen sehr gut, dass das Herz eng mit unseren Gefühlen in Verbindung steht. Woher wissen wir das genau? Wir fühlen es – ganz einfach. Inzwischen gibt es dafür jedoch auch wissenschaftliche Beweise. So entdeckte man, dass das Herz über ein eigenes Netzwerk von zigtausend Nervenzellen verfügt. Es hat also [wieso also?] ein eigenes ‚kleines Gehirn‘. Mit diesem ‚Gehirn‘ kann das Herz selbst Dinge wahrnehmen. Erinnerungen und Erfahrungen speichern, Erlebnisse auswerten und sein Verhalten entsprechend seiner eigenen Auswertung verändern oder anpassen [warum nicht noch mehr?]. Jetzt ist es also auch wissenschaftlich erwiesen: Das Herz fühlt.
Darüber hinaus produziert das Herz Hormone und kann auf diese Weise das Gehirn enorm beeinflussen bzw. steht mit diesem in engem Kontakt. In Extremsituationen schüttet das Herz beispielsweise das Stresshormon Adrenalin aus. Auch kann es Noradrenalin bilden, ein Hormon, das unter anderem den Blutdruck reguliert. Das Spezial-Hormon des Herzens ist jedoch – wie könnte es anders sein – das Liebeshormon Oxytocin. Nur in ganz besonderen Augenblicken überschüttet uns das Herz mit den wonnigen Gefühlen des Oxytocins. (Mehr dazu in der weiterführenden Literatur).“
Mussten diese „Rattenfänger von Zürich“ den Wahn wirklich so weit treiben, zu behaupten, dass das Herz eine Drüse sei, die selbst Hormone sezerniere? Mussten sie wirklich noch zwischen den Zeilen dem Hormon Oxytocin eine Funktion beim Orgasmus andichten und dessen Quelle ins Herz verlagern? Ich denke, dass das gut so ist. Ich brauche mich dann nämlich angesichts solcher Dreistigkeit nicht mehr zu fragen, ob hier nur Unwissenheit im Spiel ist oder bewusste Desinformation und gnadenlose Abzocke. Man kann ja wohl annehmen, dass Frau Muthmann nicht gelesen hat, dass Oxytocin nicht den Geschlechtsverkehr begleitet, der das Herz höher schlagen lässt, sondern das Bindungshormon ist, das unaufgeregte gefühlsmäßige Bindungen – ganz besonders die von Mutter und Kind – begleitet.