Die Zukunft herbeiwürfeln – irre und nachdenkenswert
Erstellt von r.ehlers am Montag 20. Juni 2016
The Dice Man, dt: Der Würfler, ist ein Roman, eine Ich-Erzählung von George Cockcroft die 1971 unter dem Pseudonym Luke Rhinehart veröffentlicht wurde. Dies ist ein unverzichtbarer Klassiker für alle Zukunftsforscher wie für jeden, der versucht, sein Leben auf dem Weg von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft besser zu verstehen. Wer über die Möglichkeit eines freien Willens nachdenkt, kommt über Cockrofts kleine Phantasie nicht hinweg (s. auch http://www.essenspausen.com/freie-willensentscheidung/).
Cockroft bedient sich eines genialen Tricks, um die ehernen Gesetze der Kausalität auszuschalten, indem er seinen Helden täglich in Entscheidungssituationen hinein führt und ihn sklavisch das tun lässt, was ihm die Würfel aufgeben. Er sucht für die sechs Optionen des Würfels immer auch Optionen aus, für die er sich bei gründlichem Bedacht niemals entscheiden hätte, etwa seine Frau mit einer x-beliebigen Person zu betrügen, seinen Job zu schmeißen oder einen Diebstahl zu begehen.
Die Alternativen, die er dann auch umsetzt, werden aber immer krasser. Sein bis dahin träge dahinplätschenders Leben als Psychiater wird bald aufregend und abenteuerlich. In seiner Obsession überlässt er dem Würfel sämtliche Lebensentscheidungen. Er entwickelt und verbreitet seine Würfeltherapie, deren Umsetzung durch immer mehr seiner Nachfolger schwere gesellschaftliche Auswüchse generiert. Am Ende wird Rhinehart zum Staatsfeind Nr.. 1 erklärt und gejagt.
Eine Erklärung für die konsequente Überantwortung aller Lebensentscheidungen auf den vom Würfel generierten Zufall ist die Egaliseirung der Bedeutung aller Alternativen, besser gesagt: die Herstellung ihrer Beliebigkeit. Der Held der Geschichte lernt es schnell, unerschrocken und frei von aller Angst (vgl. http://www.essenspausen.com/angst-entsteht-nicht-durch-stress/) auch an die Umsetzung selbst der kritischsten und gefährlichsten Alternativen heranzugehen.
Man hat das Konzept des Würflers oft als anarchisch bezeichnet. Das aber scheint mit nicht richtig zu sein, weil der Held eben nicht in eine herrschaftsfreie Welt eintaucht. Er unterwirft sich vielmehr ganz der Dikatur seiner Phantasie (die die jeweils sechs Handlungalternativen festlegt) und des unberechenbaren Würfels.
Es bedarf sicher keiner Erörterung, dass es sich beim Auswürfeln aller Lebenentscheidungen um kein praktikables Lebenskonzept handelt. In verfahrenen Lebenssituationen bewirkt aber allein die Beschäftigung mit dieser Methode aber eine womöglich heilsame Relativierung scheinbar unüberwindlicher Hemmschwellen. Anders ausgedrückt: die entwurzelnde Philosophie des Würflers ist die eines Aussteigers!