Der Tanz um den Tagesbedarf
Erstellt von r.ehlers am Dienstag 22. Oktober 2013
Sachbezug: volle Versorgung, Mangelernährung, Speicherfähigkeit des Körpers
Seit Jahrzehnten werden wir von der Werbung und der großen Zahl der Ernährungslehrer regelrecht kirre gemacht, peinlich darauf zu achten, ja ständig mit der Nahrung ausreichende Mengen von den an der Zahl stetig steigenden wertvollen Mikronährstoffen aufzunehmen. Das Stichwort, auf das hin wir uns ständig selbst zur Ordnung rufen sollen, heißt:
Tagesbedarf.
So wie die Israeliten um das Goldene Kalb tanzten, tanzen die aufmerksamen Esser in unserer Zeit um den Tagesbedarf. Das Thema der vollen Versorgung des Körpers mit der großen Fülle der bekannten Inhaltsstoffe der Lebensmittel ist natürlich dennoch sehr wichtig:
http://www.essenspausen.com/krank-durch-fehlversorgung-von-korperzellen-und-korpergewebe/
Gewiss ist die Versorgung vieler Menschen heutzutage unzureichend, was schon an der Fülle der Stoffwechselerkrankungen abzulesen ist. Dem ist aber ganz leicht zu begegnen – und nicht unbedingt durch täglich einzunehmende Medikamente und Nahrungsergänzungen.
Achten Sie aber einmal darauf, ob Sie in den nie enden wollenden öffentlichen Informationen über die richtige Versorgung und Auswahl der Lebensmittel jemals darüber lesen können, dass Ihr ganzer Körper ein gewaltiger Speicher ist, der praktisch alle von uns verwertbaren Stoffe sammelt und für die spätere Verwendung für lange Zeiträume bereit hält!
Wenn alle Menschen Bescheid wüssten, dass eine minutiöse Kontrolle von Tagesbedarf und Tagesverbrauch weit überzogen ist, würden wir insgesamt ganz sicher viel weniger essen (und könnten mehr Menschen ernähren).
1. Energiespeicher auffüllen ist ganz leicht
Energieträger wie Kohlenhydrate und Fette sind leicht zu kriegen. Was wir durchschnittlich an Zuckerstoffen und billigen Fetten essen, hält unsere Zucker- und Ketonspeicher in den Muskeln, in der Leber und in insgesamt 100 Billionen Zellen des Körpers immer reich gefüllt. Wie wir unsere Fettspeicher auffüllen, wissen wir auch, das zeigen im Zweifel die dicken Bäuche. Da wissen wir genau Bescheid und brauchen keine Belehrung.
Auch die Masse der Eiweiße in den Körper zu kriegen, bedarf keiner besonderen Anstrengung. Im Zweifel hält man sich wie viele Sportler, die für den Muskelaufbau sehr viele Proteine brauche, an Molkepulver (Whey Protein), ein eigentlich ganz billiges Abfallprodukt aus der Käseherstellung, das zu mehr als 70 % mit Milcheiweiß beladen ist. Dennoch wird in der Werbung mächtig getrommelt für teure Tabletten und Trinkfläschchen mit Aminosäuren wie L-Tryptophan. Dass es kaum normale Nahrung gibt ohne L-Tryptophan und dass daran – außer bei intensivem Verbrauch im Sport – praktisch nie ein Mangel besteht, wird unterschlagen. Sehen Sie bei Interesse dazu:
http://www.essenspausen.com/tryptophan-irrtum-und-abzocke/
Was die Energieträger angeht, ist festzuhalten, dass nur Menschen mit erhöhtem Energiebedarf wie insbesondere sportlich aktive Menschen gut daran tun, sich auch darum – besonders um ihre Proteine – zu kümmern. Aber das lässt sich weitgehend auch ohne den Griff in die Pillenkiste regeln!
Ein Wort noch zum Muskelaufbau: da ist es nicht allein getan mit den Aminosäuren, die die Substanz der neuen Muskeln bilden. Zum gesunden Muskelaufbau brauchen wir auch eine große Zahl von Vitalstoffen wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Nebenstoffe und Enzyme, die in den reinen Eiweißprodukten nicht enthalten sind. Fehlen sie, sammeln sich im Körper schädliche Abbaustoffe. Auch bei jeder anderen intensiven körperlichen Beanspruchung brauchen wir schonzum Aufbau unserer Körpernergie und für den Abbau der Metaboliten aus diesem Prozess die ganze Fülle der wertvollen Mikronährstoffe.
2. Bei Vitaminen & Co. gibt es angeblich großen Handlungsbedarf.
An der Zahl der Präparate mit Mikronährstoffen wie insbesondere Vitaminen und Mineralstoffen, die inzwischen schon bis in die Regale der Discounter gedrungen sind, können Sie erkennen, dass die Information über den angeblichen täglichen Mangel an diesen Nahrungsinhaltsstoffen Früchte getragen hat. Kaum jemand glaubt der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE), die seit Jahrzehnten predigt, dass eine vielseitige gemischte Ernährung mit den in unserer Gesellschaft reichlich vorhandenen guten Lebensmitteln den Einsatz von Nahrungsergänzungen (NEM) in aller Regel völlig überflüssig macht. Am Beispiel von Vitamin B 1 (Thiamin) zeige ich nachfolgend auf, dass die DEG letztlich doch auf die Sicherung der täglichen Versorgung setzt.
In meinem Beitrag über das einfache Leben,
http://www.essenspausen.com/das-einfache-leben/
habe ich auf einen Hauptfall hingewiesen, der uns zwingt, wenigstens alle 14 Tage auf die Versorgung mit dem für die Gesundheit unverzichtbaren Vitamin C zu achten. Dieses lässt sich nämlich nur gut 14 Tage lang im Körper speichern. Dass fortgesetztes Fehlen von Vitamin C zu scheren gesundheitlichen Störungen führt, haben wir spätestens bei der Seefahrerkrankheit Skorbut entdeckt.
Sehen Sie bei Interesse auch einmal in meinen Beitrag
http://www.essenspausen.com/den-wahren-reichtum-der-pflanzen-nutzen/,
in dem ich einzeln aufliste, welch unerhörte Fülle an Vitalstoffen allein in schlichten Samenkörnern (Amaranth) enthalten ist – natürlich auch Vitamin C. In der dortigen Tabelle ist wie bei allen anderen, die in der Literatur zu finden sind, bei Vitamin B 12 immer eine Fehlanzeige vermerkt. Wie man da misst, habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Ich weiß aber aus der Lebensmittellehre, dass gerade in den dicken Hautschichten um den kleinen Stärkekern des Amaranth-Samens von den dort befindlichen Bakterien Vitamin B12 ausgeschieden wird (übrigens auch beim Weizen und anderen Samen). Nicht berücksichtigt wird dabei auch, dass bekannt ist, dass die Bakterien unserer Dickdarmflora in einem nicht zuverlässig erfassten Umfang Vitamin B 12 aufbauen.
3. Übersicht über die Speicherung der Vitamine
In meinem kleinen Buch „Essenspausen. Der einzige Weg zur nachhaltigen Gewichtskontrolle“, Via Nova Verlag, 2012, habe ich aufgelistet, was ich in der Fachliteratur über die Speichermöglichkeiten von Vitaminen im menschlichen Körper gefunden habe. Ich gebe die kurze Übersicht hier einmal nach der Dauer der Speicherlänge wieder:
Vitamin B1 2 – 6 Wochen
Vitamin B2 2 – 6 Wochen
Vitamin B6 2 – 6 Wochen
Vitamin C 2 – 6 Wochen
Vitamin K 2 – 6 Wochen
Vitamin D 3 – 4 Monate
Folsäure 3 – 4 Monate
Vitamin A 2 Jahre
Vitamin B12 3 – 5 Jahre (!)
4. Paradefall Vitamin B1
Wenn jemand Vitamine verkaufen will, muss man besonders genau hinsehen, ob die Anpreisungen auch wirklich stimmen. Ich greife hier einmal heraus die Mitteilungen im „Vitamin-Lexikon“ über Vitamin B1:
http://www.vitamine-lexikon.de/vitamin-b1-thiamin.shtml,
Veranlasser ist Rolf Krause, der dem Publikum das Lexikon als Teil seines Shops anbietet:
http://www.fairvital.com/index.php?cPath=44_87&ref=954669&affiliate_banner_id=4
Dort wird richtig angegeben, dass die Speicherkapazität von Vitamin B1 20 – 40 Tage betrage. Angeblich kann der Körper aber nur 25 – 30 mg davon im Körper speichern. Mehr soll er nicht aufnehmen können. Selbst das ist angeblich schlecht hinein zu bringen, weil der Körper vorgeblich nur geringe Mengen von unter 6 mg am Tag speichern kann. Überschüssige Mengen gingen bis auf wenige Prozentanteile (irgendwie) verloren. Also müsse man täglich für eine Vitamin B1-Zufuhr sorgen. Krause verweist auf die DEG, die eine tägliche Zuführung von Vitamin B1 von 1,3 mg verlange – also mehr als doppelt soviel, wie der Körperangeblich speichern kann.
Prompt werden Präparate mit täglich zu nehmenden Einzeldosen von 100 mg (!) im Shop angeboten und wie folgt angepriesen:
„B-1 Thiamin: Zur Förderung der körperlichen & geistigen Fitness
Vitamin B1 ist wasserlöslich und muss wie alle anderen Vitamine der B-Gruppe täglich neu ersetzt werden. Es ist eines der wichtigsten Co-Enzyme und Funktionsbestandteil von mindestens 24 Enzymen. Man nennt B1 auch das Stimmungsvitamin, weil es Bedeutung für die Stimmung und für das Nervensystem aufweist. B1 vernetzt Gehirn und Muskeln und arbeitet an der Koordinierung deren Bewegungen mit. Es unterstützt das Gedächtnis und spricht die Bildung von Serotonin an. Es kann außerdem das Immunsystem, gesunde Zellen und Gewebe unterstützen.“
Ob das wohl alles erlaubt ist zu sagen? Mich spricht natürlich besonders an, dass Vitamin B1 die Bildung (des Botenstoffes) Serotonin ansprechen solle (Stimmungsvitamin B1). Richtig ist daran nur, dass Vitamin B1 einer der vielen Bausteine für die Synthese von Serotonin ist, von denen keiner fehlen darf. Nach meiner Erkenntnis reicht es aber nicht, die Bausteine einfach in den Körper zu bringen. Es muss ein Lockruf nach Serotonin im Körper entstehen, der eine Chemotaxis nach seinen Bausteinen auslöst, die dafür sorgt, dass in den Drüsen des Hrnstamms (den Raphe-Kernen) der Botenstoff synthetisiert wird.
Wenn es richtig ist, dass der Körper an einem Tage praktisch nur 6 mg Thiamin aufnehmen (und speichern) kann, was geschieht mit den 94 mg, die nicht gebraucht werden? „Verschlacken“ die dann den Körper oder setzen sie Leber und Nieren zu?
Wenn man nach der Werbung geht, ist man schon am 3. Tag mit Vitamin B1 unterversorgt, wenn man nicht genug von der Nahrung gegessen hat, die den Stoff mitbringt. Es gibt tastsächlich gesundheitsbewusste Menschen, die genau Buch führen und dementsprechend essen, um sicher zu gehen, dass ihnen auch nicht einer von den wertvollen Mikronährstoffen fehlt. Wer den Zahlenspielen glaubt, wird aber im Zweifel lieber nach dem Grundsatz „viel hilft viel“ seine Nahrung vorsorglich durch täglich einzunehmende Pillen ergänzen. Bei einigen Vitaminen ist derweil die Wissenschaft schon in der Spur, Schäden durch eine Überversorgung mit Vitaminen zu beweisen.
Ähnliche Fehlinformationen gibt es für all die anderen Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundären Nebenstoffe!
5. Die Alternative: Leben und Essen ohne Arithmetik
Ist es da nicht viel einfacher, sich ganz regelmäßig an rundum gesunde Nahrung zu halten und mit ihrer richtigen Vorbereitung (Vermahlung, schonendes Kochen) und richtigem Verzehr (Essenspausen) dafür zu sorgen, dass ihre Inhaltsstoffe auch wirklich dem Körper zu Gute kommen?
Bei der Auswahl gesunder Nahrung gibt es eine sehr leicht zu befolgende Faustregel: Lassen Sie alle Lebensmittel weg, die inhaltslos oder bekannt schädlich sind. Wenn Sie das tun, kommen Sie beim Discounter ganz schnell durch die Regale und finden dann doch die wenigen guten Sachen, die Ihnen wirklich gut tun!