Warum Hersteller nativer Kost nicht “richtig” werben
Erstellt von admin am Montag 18. Februar 2013
Rolf Ehlers
Sachbezug: Rechtsfagen der Werbung für die Wirkungen nativer Kost
Hier stelle ich einen Beitrag vor, der in Kürze in der Fachzeitschrift OM & Ernährung erscheinen wird. Er zeigt das Dilemma der Anbieter von Lebensmitteln, die in der Praxis in ungezählten Fällen ihren Wert erwiesen haben, deren Wirkungen aber wegen der Komplexheit der Wirkzusammenhänge nicht so bewiesen werden können wie die neuen EU-Regeln (Health Claims Verordnung/Codex Alimentarius) das verlangen. Das Verbot definitiver Wirkaussagen bedeutet aber nicht, dass die Anbieter nicht in einen Informations- und Meinungsaustausch mit den Verbrauchern treten dürften. Das trägt am Ende mehr dazu bei, die Werbung ehrlicher zu machen als die Zulassung der üblichen primitiven Werbesprüche, die nicht weniger zur “geistigen und moralischen Umweltverschmutzung’” beitragen als voreilige Wirkaussagen das tun.
“Ehrliche Werbung
Die Health Claims Verordnung verbietet nicht die Mitteilung vorläufiger Annahmen über die gesundheitsbezogenen Wirkungen von Lebensmitteln.
Rolf Ehlers, Ass. jur., Justitiar und Ernährungsforscher
Reklame ist wichtig – Reklame muss sein” sangen 1960 die Kabarettisten Wolfgang Müller und Wolfgang Neuß („Die Stachelschweine“). Hinter der Kritik an der notorischen Verlogenheit der Werbung darf man nicht vergessen, dass die freie Marktwirtschaft nicht ohne Werbung funktionieren kann. Und doch hat die Europäische Gemeinschaft (EU), die Werbung gerade für die lebenswichtigsten aller Handelsgüter, nämlich die Lebensmittel, mit der Health Claims Verordnung (HCVO) inzwischen so stark eingeschränkt, dass viele kleine und mittelgroße Anbieter kaum „damit leben“ können. Deutsche Obergerichte und die Literatur befürchteten zuletzt bei extensiver Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Verbotsnormen unzulässige, weil unverhältnismäßige Eingriffe in den unantastbaren Kernbereich der Grundrechte auf freies Wirtschaften und freie Meinungsäußerung (vgl. BVerwG, B.v.23.9.2010, ZLR 2011, 103 ff – „bekömmlich“ -). Nachdem der Europäische Gerichtshof in Straßburg 2012 aber die Daumenschrauben noch enger angezogen hat (EuGH v.6.9.2012 – “Deutsches Weintor“ – Rs. C-544/10, ZLR 2012, 602 ff.), ist für die deutsche Rechtspraxis erst einmal der Krieg um eine angemessene Werbung für Lebensmittel verloren (vgl. Meisterernst, Der Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe, ZLR 2012, 652 ff., s. auch Leible, Werbung für Lebensmittel und Kosmetika, ZLR 2010, 285ff.).
Ich lege hier zunächst ganz kurz dar, worauf die Anbieter von Lebensmitteln in ihren Aussagen über ihre Produkte heute achten müssen, wenn sie nicht blind in die offenliegenden Kostenfallen tappen wollen. Es gibt kaum einen von ihnen, der nicht schon im Clinch mit Abmahnvereinen und behördlichen Verbraucherschützern und Lebensmittelkontrolleuren mächtig Federn gelassen hätte. Weiteren Schadensfällen können sie nur vorbeugen, wenn sie sich konsequent an die neuen strengen Vorgaben halten. Ich komme dann aber zum besonderen Sinn meines Beitrages, indem ich zeigen werde, dass man mit grundehrlicher Werbung doch den Stand seines Wissens über gesundheitliche Wirkungen öffentlich verbreiten kann.
Definitive Wirkbehauptungen mit Gesundheitsbezug sind heute in Europa rechtlich nur noch zulässig, wenn der Anbieter sie nach Vorlage wissenschaftlicher Nachweise bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit Sitz in Parma (Italien) in die dort geführte Liste eingetragen bekommen hat. Rechtlich nennt man dies ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dem nach der Einführung der Reglementierung losbrechenden Proteststurmder Anbieter suchte die Europäische Kommission mit einer geradezu läppischen Presseerklärung vom 10.1.2003 zu begegnen, die sie „Myths & Misunderstandings“ nannte (s. bei Meisterernst, a.a.O., S. 652). Gegenüber dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO, nach dem jede Aussage oder Darstellung betroffen ist, „die erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck bringt“, dass ein Lebensmittel besondere gesundheitsbezogene Eigenschaften besitzt, hat die Kommission doch tatsächlich einige kleine Einschränkungen gemacht.
Danach dürfen „allgemein bekannte Eigenschaften“ und „nichtssagende Anpreisungen oder Auslobungen“ frei geäußert werden wie: „Red Bull verleiht Flügel!“, „Haribo macht Kinder froh…“, „So wertvoll wie ein kleines Steak“ und „Das Beste jeden Morgen“. Auch einige „traditionelle allgemeine Bezeichnungen“ wie „digestif“ und „Hustenbonbon“ sollen von der Geltung des Verbots ausgenommen sein. Aber wie ist es schon mit der segensreichen Wirkung von Hühnerbrühe bei Erkältungen? Ein Müsli aber ein „Fitnessmüsli“ zu nennen, soll erlaubt sein (vgl. Meisterernst, a.a.O.). Das kommt alles sehr unsystematisch daher. Auf solche Ausnahmen sollte sich künftig niemand verlassen. Es lohnt, sich zu merken:
Jedwede Bezugnahme auf die Förderung der Gesundheit durch Lebensmittel ist unzulässig. Eine Ausnahme sind nur Angaben über die Förderung des allgemeinen Wohlbefindens, die keinen physiologischen Bezug erkennen lassen, also ganz und gar ohne Sinn sind.
Daher haben die Richter in Straßburg in der Entscheidung vom 6.9.2012 die Auslobung eines säurearmen Weins als „bekömmlich“ verboten, weil damit nicht nur ein reines Nonsensgefühl angesprochen würde, sondern eine, wenn auch nur vorübergehende, auf Körperfunktionen gründende Befindlichkeit. Aber wie ist das ohne sie überhaupt möglich? Und weiß nicht jeder, dass zuviel Säure den Wein weniger bekömmlich macht? Was zuletzt noch beim Landgericht Wuppertal (Urt. V.18.3.2008, 14 O 10/08 – „Schutzengel“-) durchging, nämlich Werbung für Schokolade für Autofahrer mit dem Hinweis, dass sie die Konzentrationsfähigkeit erhöhe und so Unfällen vorbeuge, wird heute bei Gericht nicht mehr als nur „witzig“ durchgehen. Wenn die Werbung auch nur im geringsten Teil einen Sinn macht, ist sie verboten. Erlaubt wäre danach wohl heute die berühmte HB-Werbung: „Warum denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB!“ Heute noch sind die Medien voll mit verlogener Werbung, insbesondere für Lebensmittelprodukte, die angeblich schlank machen oder auch nur sättigen oder den Appetit zügeln. Die „Haltbarkeit“ solcher Werbung ist aber längst abgelaufen.
Nach Meinung des EuGH zählt auch das Wachstum der Körperzellen zu den Gesundheitswirkungen. Man kann daher nicht mal mehr sagen, dass ein Lebensmittel den Zellauf- und Abbau und die Zellreparatur fördere. Weitere Beispiele für das, was sicher verboten ist: magenfreundliche Wirkung, Regulierung der Darmtätigkeit, Förderung des Metabolismus , Verbesserung der Hautqualität, Entsäuerung, Vernichtung freier Radikale, Stärkung des Immunsystems, Jungerhaltung – all die Wirkungen der großen Fülle von Lebensmitteln, die in jahrhundertelanger Erfahrung in aller Welt ermittelt wurden. Aber auch nach dem heutigen vertieften Wissen über die biochemischen Abläufe im menschlichen Körper einschließlich seiner Anbindung an das Zentralnervensystem sind all diese Wirkungen nur zu erwarten durch die richtige Auswahl und Aufnahme der Lebensmittel bzw. der vielen in ihnen enthaltenen Mikronährstoffe (s. dazu u.a. Kellerer, „Die Granulation der Lebensmittel“, OM & Ernährung, 2010, Nr. 130 F 37; Ehlers, „Wohlfühlhormon Serotonin“, Via Nova 2012; s. auch meine Beiträge auf www.essenspausen.com). Arzneimittel haben demgegenüber andere, beschränkte Aufgaben.
Nun aber zur angekündigten Alternative zulässiger Hinweise auf gesundheitsbezogene Wirkungen:
Ich habe vor Jahren entdeckt und bin fest davon überzeugt, dass kleine Mengen unterschiedlich fein gemahlener, eiweißreicher und weitgehend roher Pflanzenkost nach dem Verzehr auf leeren Magen den körpereigenen Aufbau des Botenstoffes Serotonin anstoßen (Aminas Prinzip). Bisher hat aber noch kein Hersteller solcher nativer Kost, wie ich sie nenne, einen Antrag in Parma auf Eintragung dieser Wirkbehauptung in die EU-Liste gestellt. Offenbar fehlt ihnen einfach das Geld für die dazu erforderlichen Studien. Es sind indes schon einige Tausende Therapeuten und einige Zehntausende Verbraucher, die täglich auf diese neue Essweise setzen und von enormen gesundheitlichen Vorteilen berichten. Als ich im Jahre 2008 den ersten Hersteller solcher nativer Kost im Abmahnverfahren gegen den vielen Anbietern sicherlich bekannten großen Verein Sozialer Wettbewerb e.V. aus Berlin unterstützte, kam es auf meinen Vorschlag und den des Gerichts zu einem Vergleich, wonach der Hersteller in seiner Werbung auf diese Wirkungen weiter hinweisen durfte, wenn er nur deutlich machte, dass die Ergebnisse noch nicht hinreichend wissenschaftlich gesichert waren. Das war der Durchbruch zur Herstellung der praktischen Meinungsfreiheit in der Werbung für Lebensmittel und ihre bedeutenden gesundheitlichen Wirkungen!
Danach haben sich nach und nach weitere vergleichbare praktische Falllösungen ergeben. Beispielsweise wies die Staatsanwaltschaft Hamburg in einem nicht veröffentlichten Verfahren darauf hin, dass es beim Hinweis auf das Vorliegen einer bloßen Hypothese über die gesundheitliche Wirkung eines Lebensmittels geradezu „fern liege“, überhaupt von einer Wirkbehauptung zu reden. Ganz aktuell hat sich das Oberverwaltungsgericht Münster in einem nicht veröffentlichten Vermerk vom 5.12.2011 (13 B 1278/11) auf genau denselben Standpunkt gestellt. Daraufhin wurde der amtliche Verbotsbescheid gegen den vorgenannten Hersteller nativer Kost (der ja schon zuvor in Wuppertal vor Gericht gestanden hatte) zurückgenommen. Das OLG Hamm schließlich hat noch vor der rechtlichen Umsetzung der HCVO nach altem Recht (U. v. 30.11.2010 –I-U 88/10 ) ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein gesundheitlicher Wirkbezug dann keine irreführende Werbung ist, wenn ausdrücklich und klar darauf hingewiesen wird, dass die angesprochene Wirkung (noch) umstritten ist. Nach der Umsetzung der HCVO mit dem Zwang zur Listung von Wirkaussagen heißt dies, dass ein solcher Hinweis den Anbieter auch der Verpflichtung zur Einholung der Genehmigung dieser Aussage enthebt. Denn wo keine definitive Wirkaussage getroffen wird, kann man ihre Genehmigung gar nicht beantragen. Ich habe von der EFSA einmal für eine solche einschränkende Wirkaussage die Erteilung eines „Negativattests“ verlangt, erhielt aber die erwartete Auskunft, dass es für einen solchen Bescheid keine Rechtsgrundlage gibt.
Methodisch gesehen ist innerhalb der Logik wirkungsorientierter Evaluation die Wirkaussage (oder Wirkungssaussage)der Oberbegriff für alle Verlautbarungen über Wirkungen. Sie teilt sich auf in einerseits Wirkvermutungen, die sich in Vorannahmen, Wirkannahmen, Wirksträngen, Wirkmodellen, Hypothesen und Theorien ausdrücken. Auf der anderen Seite steht die Äußerung von Gewissheiten, gleichbedeutend mit Wirkangaben, Wirkbehauptungen und Wirkfeststellungen. Das Recht reglementiert nur diese definitiven Äußerungen über Wirkungen. Danach ist festzuhalten:
Der Anbieter von Lebensmitteln ist frei, über den Stand seiner eigenen Forschungen und über die von Dritten gefundenen Erkenntnisse über besondere Wirkungen seiner Produkte zu berichten. Er darf nur nicht den falschen Eindruck aufkommen lassen, dass die wissenschaftliche Besicherung in Wahrheit schon vorläge.
Mit den meist nur knappen auf Etiketten üblichen Informationen ist so viel an Erklärung und Einschränkung nicht ordentlich darzustellen, weshalb die Darlegung der angesprochenen Wirkungen und der Hinweis auf die noch fehlende wissenschaftliche Besicherung wohl besonderen Darlegungen auf Produktbeigaben, Flyern und anderen Schriften, besonders im Internet, vorbehalten sein wird. Aber eine Hinführung schon vom Etikett her zu diesen Informationsquellen erscheint sinnvoll und kann rechtens nicht verboten werden. Dabei ist es aber eine verbotene Irreführung, gleich wo plakativ auf Wirkungen zu verweisen und nur über Sternchenbezug und Kleindruck und gar an anderer Stelle darauf hinzuweisen, dass die wissenschaftliche Besicherung noch fehlt. Auch ist der demonstrative Bezug auf die Meinung angeblicher Experten kritisch, seien sie nun “ Mietmäuler“ oder „Werbehuren,“, wie die Branche sie kennt, oder unbestechliche Kenner der Materie. Es versteht sich, dass der Anbieter in der Lage sein muss nachzuweisen, dass von seinem Produkt nicht etwa eine gesundheitliche Gefahr für den Verbraucher ausgeht. Aber das ist bei simplen Nahrungsmitteln, um die es meist geht, ja auch kaum zu befürchten.
Der Hersteller, der mit ehrlicher Darlegung des Standes seines Wissens seine Annahmen über die mutmaßlichen gesundheitlichen Wirkungen seiner Produkte darlegt, kann nicht mit genau derselben Aussicht auf Erfolg werben wie derjenige, der mit gesicherten Erkenntnissen voll auftrumpfen kann. Das Publikum ist ja durch die lange Zeit der Konfrontation mit aggressiver Werbung gewohnt, undifferenziert angesprochen zu werden. Aber es kann lernen. Wenigstens ist der Anbieter nicht mundtot. Durch seine ehrliche Darlegung des Standes des Wissens erhält die Allgemeinheit Kenntnis von möglicherweise wichtigen Hilfen für die Erhaltung der Gesundheit, die sonst einfach untergingen. Die ehrliche Werbung ist zugleich ein wichtiger Beitrag für die Hinwendung zu einer intensiveren Partizipation der Menschen in den sie betreffenden Gesundheitsfragen.”