Studien reichen nicht zum Verständnis komplexer natürlicher Wirkzusammenhänge
Erstellt von r.ehlers am Mittwoch 26. Juni 2019
Grafik: leibniz-psychology.org
Ernährungswissenschaft und –lehre verhalten sich geradezu wie trunken von der Vorstellung, dass allein der kontrollierte Nachweis der physiologischen und gesundheitlichen Wirkungen des Verzehrs eines Lebensmittels durch ergebnisbasierte randomisierte Studien geeignet sei, das Wissen um die richtige Ernährung zu fördern. Sie sind auf diese beschränkte Erkenntnisweise ebenso fixiert wie die universitäre Standardmedizin, die sich gegenüber allen allein durch Erfahrung gewonnenen Erkenntnissen blind stellt.
Diese Situation besteht heute schon seit etwa 70 Jahren. Seither sind Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen solcher Studien in die Welt gesetzt worden. Leider werden sie nur selten dem Anspruch an exakte Wissenschaftlichkeit ihrer Ergebnisse gerecht. Der größte Mangel dieser Studien liegt bereits in der Fragestellung bei den in den Wissenschaften von der Ernährung und der Medizin schon von der Natur her regelmäßig gegebenen hoch komplexen Wirkzusammenhängen. Komplexität heißt ja nichts anderes als dass die zu untersuchenden Vorgänge nicht bloß kompliziert, sondern dass sie regelrecht undurchschaubar sind.
Nehmen Sie nur als Beispiel die endlosen Versuche der Forschung, durch Studien einen Stoff oder eine Medizin zu ermitteln, die den Menschen wohlgestimmt oder gar glücklich machen sollen, die ihn tagsüber wach und konzentriert halten und ihm nachts einen erquickenden Schlaf schenken und ihm neben vielen körperlichen und psychischen Vorteilen besonders Depressionen und Burnout fern halten. Nicht anders ist es bei den immerwährenden Bemühungen, eine Pille oder ein Stück Nahrung zu finden, die nachhaltig das Übergewicht vertreiben.
Als das scheinbar patente System der Mehrung von exaktem Wissens durch ergebnisbasierte randomisierte Studien aufgestellt und überall in unserer Gesellschaft als verbindlich akzeptiert wurde, gehörte es allerdings noch nicht zum Allgemeinwissen, dass die Natur nicht einfachen geordneten Beziehungen folgt, wie unsere Logik uns das nahelegt, sondern dass sich alle Lebensvorgänge in einem nicht linearen chaotischen System befinden, das keinen Durchblick in die vollen kausalen Verflechtungen zulässt. Festgeschrieben auf unsere Logik lieben wir aber die einfachen Abläufe und biegen uns allzu gern die Welt so zurecht, dass sie uns einfach erscheint. Wir vergessen dabei, dass es gerade eine der größten Leistungen der Natur ist, trotz der unerhörten Komplexität aller Lebensvorgänge dafür zu sorgen, dass ihren Lebewesen das praktische Leben leicht fällt. Wenn wir dieses System nicht nur praktisch anwenden, sondern auch verstehen wollen, müssen wir allerdings weit tiefer schürfen.
Bezogen auf den einen Stoff oder das eine Mittel, die Gesundheit und Glück bringen sollen, führt die ernsthafte Suche schnell auf das Wohlfühlhormon Serotonin, aber nur um bald festzustellen, dass dieses Hormon zu seiner Entstehung der Beteiligung von einem Dutzend verschiedener Vitalstoffe und der Erfüllung einer ganzen Reihe von Bedingungen für seinen Aufbau und seiner Ausschüttung bedarf. Schlimmer noch: Es gibt mehr als 15 verschiedene – nur in Ansätzen erforschte- Untergruppen von Serotonin mit teils sogar entgegengesetzten Wirkungen. Zu guter Letzt ist dieses Hormon auch ein sog. Modulationshormon. Es wirkt unterschiedlich je nach gleichzeitigem Vorhandensein vieler fundamental wichtiger Hormone wie z.B. Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und Melatonin. Und doch kommt es immer wieder vor, dass serotonintypische Wirkungen wie beispielsweise die direkte Stimmungsaufhellung nach der Gabe im Einzelfall eintreten, indem nur einer der Bestandteile von Serotonin, etwa Vitamin B12, Vitamin D, Schwefel, Selen, Zink oder Magnesium in den Körper kommen – oder dass beim Fehlen auch nur eines dieser Stoffe die gute Stimmung gedrückt wird. Nach dem sog. Minimumgesetz muss ja nur ein Faktor fehlen, damit die Entstehung des Hormons unterbleibt.
Über Tausende von Jahren hinweg hat die Menschheit praktische Erfahrungen mit der Natur und ihren wirkmächtigen Substanzen in den Pflanzen gemacht. Es ist ein schwerer Fehler, dieses Wissen zu ignorieren und nur Wirkungen zu beachten, die sich in den auf einfache lineare Abläufe beschränkten Studien zeigen. Es ist also höchste Zeit, Abstand zu nehmen von der Annahme, dass die richtige Ernährung wissenschaftlich exakt bestimmbar sei. All die vielen einzelnen Studien sind natürlich nicht sämtlich nutzlos. Sie erlauben aber nur hier und da einen Blick auf die großen Zusammenhänge. Auf diese aber kommt es letztlich an, weshalb ein „Ernährungskompss“, wie ihn der Medizinjournalist Bas Kast mit seinem Bestseller vorgestellt hat, trotz der Berücksichtigung von 50.000 aktuellen Studien an Kernfragen der Ernährung überall da vorbeigeht, wo der Studienrummel schon in der Stellung der richtigen Fragen große Lücken lässt.
Das bedeutet insbesondere, positiven Erfahrungen im Umgang mit der Nahrung wieder Beachtung zu schenken, auch wenn die Komplexheit des Themas es nicht zulässt, die Wirkungen des Verzehrs sicher vorauszusagen. Eine Reihe weiterer Beiträge zum Thema finden Sie, wenn Sie auf der Startseite in der Suchrubrik das Stichwort „Studien“ eingeben.