Wir belohnen uns: „Man gönnt sich ja sonst gar nichts „
Erstellt von r.ehlers am Mittwoch 24. August 2016
Obwohl die überragende Bedeutung von Essen und Trinken für das Leben jedes Menschen offenkundig ist und bestimmenden Einfluss auf jeden Einzelnen und die ganze Gesellschaft hat, wird Essen und Trinken nur von Wenigen als Thema der Kulturwissenschaft behandelt. Eine löbliche Ausnahme ist der Basler Professor Dr. Walter Leimgruber, der sich in seinen vielen Veröffentlichungen dem Thema von vielen Aspekten her genähert hat. Typisch ist sein Beitrag in der schon seit 1941 bestehenden schweizerischen Kulturzeitschrift namens DU:
Leimgruber, Walter: Man gönnt sich ja sonst gar nichts : Tchibo macht Träume wahr und raubt ihnen damit die Wirkung : Macht nichts, schon nächste Woche kommt ein neuer Traum, in: Du. Zeitschrift für Kultur. Design. Was den Alltag formt. Nr. 4 05.00.2006.
Leimgruber zeigt auf, dass die Werbung das Verlangen zum Essen und Trinken mit der Illusion einer besonders erstrebenswerten Belohnung lockt, das Trugbild aber alsbald zerstört und prompt wieder neu ansetzt. Dies fördert den Absatz, es mehrt Umsatz und Gewinn des Handels und vermehrt das Bruttosozialprodukt. Ob die beworbenen Produkte wirklich dem Kosumenten helfen, ist Nebensache. Tatsache ist, dass der systematisch verdummt wird.
Wie kommt es, dass wir nicht einsehen wollen, dass die Werbung es penetrant darauf anlegt, uns unterschwellig zu packen, dass sie uns desinformiert und immer wieder dreist belügt? Die Werbung weiß, dass wir es gar nicht anders wollen. Die Aufmerksamkeit, die sie uns schenkt, empfinden wir nämlich unbewusst als angenehm. Am Ende sind wir dafür sogar so dankbar, dass wir bevorzugt Produkte kaufen, die heftig beworben sind.
Möglich ist das nur, weil mit solcher Zuwendung einr ganz tief im Mittelhirn sitzende Region des Gehirns namens nucleus accumbens, das Belohnungszentrum angesprochen wird. Dies erfolgt unterhalb der Schwelle unseres Bewusstseins. Das Belohnungszentrum ist leider weitgehend autonom. Es widerstrebt ihm, den Verstand zur Überprüfung seiner Eindrücke einzuschalten. Wenn wir es aber nicht lernen, hinter die Werbung zu blicken und gegenzusteuern, sind wir ihr hilflos ausgeliefert.
Ohne dass wir das Steuer an uns reißen, kaufen wir jeden Mist, der nur toll präsentiert wird. Insbesondere essen wir täglich weitgehend wertlose Nahrung und sind auch nicht in der Lage, einem aktuellen Essensdrang zu widerstehen.
Sicher haben Sie selbst schon denn Spruch gehört, dass eine dicke Tante der anderen beim Verzehr mächtiger Sahnetorten zuzwinkert: „Man gönnt sich ja sonst gar nichts!“ Kein Zweifel, wir alle wissen auch ohne die Nachweise aus der Gehirnforschung Bescheid über unsere inneren Antriebe. Teil des bösen Spiels, das diese mit uns treiben ist, dass wir es als ein Zeichen persönlicher Freiheit und eine Bereicherung empfinden, dass uns keine Zweifel an der Richtigkeit unseres Verhaltens stören können.
Dagegen gibt es ein probates Mittel: Wehren Sie sich! Machen Sie es sich zur Gewohnheit, sich nicht von blindem Verlangen nach Dingen leiten zu lassen. Wenn Sie auch Ihren Verstand ein wenig mitwirken lassen, können Sie sich alle Freuden der Welt mit vermehrtem Genuss erlauben, die nicht all zu dumm und schädlich sind.