Vertrauen ehrt
Erstellt von r.ehlers am Samstag 12. September 2015
Bevor sich die Wissenschaft zu Beginn der Neuzeit aller Bereiche des Lebens und der Natur bemächtigte, übernahmen wir Erkenntnisse von Anderen nur, wenn wir Vertrauen zu ihnen hatten. Heute reichen uns oft schon die mitgeteilten Ergebnisse sog. wissenschaftliche Studien um uns zu überzeugen oder zumindest unser Verhalten zu verändern. Wir vertrauen der Wissenschaft ohne gesichert zu haben, dass sie nicht (wie schon so oft) auf dem falschen Weg ist. Dem deutschen Recht entspringende uralte Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, der sich wie ein roter Faden durch alle unsere Zivilgesetze zieht.
In China ist die alte Suche nach dem persönlichen Vertrauen in allen Menschen noch so fest verankert, dass sie sich in Gespräche mit Dritten grundsätzlich nicht einlassen, bevor sie nicht mit ihnen die üblichen vertrauensbildenden Rituale vollzogen haben. Dazu gehören insbesondere freundliche Begrüßungsformeln, Austausch von Begrüßungsgeschenken (immer in doppelter Ausführung), ein ruhiges gemeinschaftliches Essen und gute Gespräche über angenehme Dinge in Sachen Gesundheit und Familie –kein Wort über Politik, Geschäfte oder Probleme anderer Art. Dass eine freundliche Stimmung bei der Einnahme der Speisen zwingend geboten ist, um das Essen gut zu verstoffwechseln, ist damit natürlich inkludiert.
Wer denkt dabei nicht an das indianische Ritual des Rauchens der Friedenspfeife mit Fremden.
Auch in der Diplomatie kennt man den Wert der berühmten „vertrauensbildenden Maßnahmen“. Wer dem anderen nicht traut, glaubt ihm nicht, wenn der behauptet, friedliche Interessen zu vertreten. Als ich vor Jahren mit Mandanten meiner Anwaltskanzlei durch China reiste, fühlte ich mich auch immer mehr als Berater in einer diplomatischen Mission als auf einer Geschäftsreise.
Die Suche nach Vertrauen in andere Menschen begleitet uns aber auch im alltäglichen Leben bei fast allem, was wir unter Beteiligung von Dritten tun. Schon wenn wir mit dem Auto morgens zur Arbeit fahren, achten wir bewusst oder unbewusst auf das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer um zu sehen, ob wir darauf vertrauen können, dass sie sich an die Regeln halten.
Auch in Dingen scheinbar geringer Bedeutung beschäftigen uns wissenschaftliche Erkenntnisse meist nur wenig. Wenn wir unsere Lebensmittel kaufen, setzen wir unser Vertrauen in die eingeführten Marken – nach dem Motto: „Wat der Buer nich kennt, fret er nich!“ Untersuchungen haben ergeben, dass es sogar noch motivierend wirkt, wenn Banken, die das Geld ihrer Kunden gewissenlos verzockt haben und sich mit Steuergeldern vor dem Ruin retten lassen, sich in der Werbung „an der Seite der Kunden“ sehen oder sich angeblich begeistert für die Interessen der Bankkunden einsetzen! Vom Vertrauen in die Ehrlichkeit von Politkern oder in die von ihnen selbst immer beschworene Unabhängigkeit der Medien will ich gar nicht reden. Wie können sie auch unabhängig sein, wenn sie die Linie ihrer Eigentümer oder Verwaltungs- und Kontrollräte einhalten müssen?
Viel fundamentaler für unser Leben ist es aber, auf das Vertrauen der Personen des engeren Lebenskreises setzen zu dürfen:
- Mutter und Vater,
- Großeltern,
- Geschwister,
- weitere Verwandte,
- Freunde,
- gute Bekannte,
- Lehrer, Pastor und andere Ausbilder,
- Ehe- oder Lebenspartner,
- Geschäftspartner
- und – last not least – die eigenen Abkömmlinge.
Wer sein Leben selbst in die Hand nehmen will, muss sich kritisch mit den Einflüssen, die er durch sein persönliches Umfeld im Leben erfahren hat und laufend erfährt, beschäftigen. Diese Überlegungen werde ich in einem gesonderten Artikel aufgreifen, indem es darum gehen wird, wie neues Wissen über das richtige Essen erfolgreich an andere weitergegeben werden kann. „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ ist ein ewiges Problem. Aber auch auf einen Lebensgefährten, der so falsch isst, dass er oder sie immer fetter und unförmiger werden und gewiss kein langes Leben in Gesundheit erwarten können, will man doch eingehen.
Im Mutterleib stellt sich die Frage nach dem Vertrauen noch nicht, Das ungeborene Kind hat zwar schon einen getrennten Geist und eigene Gefühle. Kaum aber nimmt es die Welt wahr, fragt es unbewusst danach, welchen Erscheinungen es vertrauen kann.
In der Folge ist es eine zentrale Lebenserfahrung, die jeder Mensch machen muss, dass es keinen Menschen gibt, dem man in allen Dingen und zu jeder Zeit voll vertrauen kann. Das muss man nicht beklagen, weil es einfach Natur des Menschen als eines Individuums entspricht, Überzeugungen zu gewinnen und Verhaltensweisen anzunehmen, die denen anderer Menschen gegenüber kontrovers sein können. Schon der Säugling lernt, dass seine Umgebung nicht alles tut, was er will. Von dort her kommen nicht nur Wohltaten, sondern auch bedrohlich erscheinende Aktionen.
Als in der Horde entwickeltes Gemeinschaftstier ist der Mensch auf die Gemeinschaft mit anderen Menschen angewiesen (Hinwseis auf das Sozialhormon Serotonin). Ihm bleibt daher keine Wahl als sich mit ihnen zu arrangieren, wo diese es trotz ihrer eigenen oft natürlich abweichenden Interessen zulassen. Damit sind wir bei der Grunderkenntnis, dass wir darauf achten müssen, wem wir zutrauen können, dass er unsere Annäherung duldet oder gar begrüßt. Das ist das Thema des Vertrauens.
Bei keinem einzigen Menschen, Mutter, Vater, Geschwister, Kinder und insbesondere beim gewählten Ehe-oder Lebenspartner gibt es eine Garantie für das Vorliegen dieser Bereitschaft.
„Homo homini lupus est“, der Mensch ist des Menschen Wolf, beschreibt dies treffend. Wie aber im Wolfsrudel auch sind die engsten Verwandten untereinander eher entgegenkommend als andere. Sicher ist das aber nicht. Gerade unter Geschwistern entstehen schreckliche Rivalitäten (Kain und Abel). Die selbst gewählten Kontakte wie Lebenspartnerschaft und Freundschaft funktionieren oft besser, eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Auch alte Freundschaften zerbrechen an Nichtigkeiten und Eigenheiten, Ehen und Lebenspartnerschaften erst recht. Selbst Kinder wenden sich ohne Not gegen Eltern und umgekehrt.
Ob eine nach eigener Einschätzung und fremder Vorgabe auf Vertrauen beruhende Beziehung mit anderen Menschen überhaupt einen besonderen Wert hatte, erfährt man bekanntlich erst, wenn man in Schwierigkeiten gekommen ist und vielleicht der Hilfe der Anderen bedurft gehabt hätte.
Das Vertrauen, dessen wir im Leben ebenso sehr bedürfen wie der Gesundheit, ist wie diese eine fragile Erscheinung. Ebenso wie wir gut daran tun, die Summe der Bedingungen für den Erhalt der Gesundheit (besonders das richtige Essen) im Auge zu behalten, ist es klug, uns laufend aktiv um den Erhalt vertrauensvoller Beziehungen zu kümmern. Die Dinge hängen letztlich sogar zusammen, denn aus medizinischer Sicht kann die Störung wesentlicher menschlicher Beziehungen ein schweres Gesundheitsrisiko sein. Dies ist schon dadurch leicht nachzuvollziehen, dass solcher Ärger einen Stress bedeutet, der geeignet ist, den Haushalt des Stresskontrollhormons Serotonin durcheinander zu bringen. Wer unter solchen Stress gerät, tut daher gut daran, seinen zerebralen Serotoninlevel –insbesondere durch Ausdauersport oder den Verzehr nativer Kost auf leeren Magen –laufend hoch zu halten.
Warum aber „ehrt“ Vertrauen?
Um Vertrauen erwarten zu können, muss man selbstbereit sein, Vertrauen zu geben. Wer also mit dem Ansinnen kommt, vertrauensvoll behandelt zu werden, muss Vertrauen vorleisten. Ohne eine grundlegende vertrauensvolle Gesinnung zu haben, kann man Anderen nicht ohne falsche Absicht entgegentreten. Das Gegenstück zum Vertrauen sind Falschheit, Hinterhältigkeit und Bosheit.