Komplexität des Abnehmens – zwei beachtliche fremde Stimmen
Erstellt von r.ehlers am Mittwoch 21. Oktober 2015
Die Aspekte, unter denen das grassiende Übergewicht in der heutigen Welot zu beachten sind, sind kaum noch zu übersehen. Ich will hier einmal einen beachtlichen Beitrag der Züricher Ernährungsforschrein Gudrun Heym aus der Pharmazeitischen Zeitung weitergeben und einen ausführlichen Beitrag von Experten der Uni Kiel.
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=6268
Von Gudrun Heyn, Zürich
Wie stark der Einfluss der Umwelt auf das Körpergewicht ist, zeigen Untersuchungen bei Ratten. Sie lassen sich darauf trainieren, rund 20 Prozent mehr zu futtern, als für ihre tägliche Energieaufnahme nötig wäre. Erklingt ein bestimmter Ton fangen die Tiere automatisch an zu fressen, wenn sie zuvor darauf konditioniert wurden. Auch eine Stimulierung mit Bildern und Gerüchen ist möglich. Menschen kennen zudem den sogenannten Dessert-Effekt: Je mehr Gänge eine Mahlzeit hat, desto mehr kann eine Person zu sich nehmen. Etwas Süßes zum Schluss geht immer noch in den Magen hinein. Für das Überleben in früheren Jahrhunderten war diese Strategie sinnvoll. Sie sicherte ein möglichst breites Angebot an Nährstoffen, Mineralien und Vitaminen. Heute sind die Kühlschränke prall gefüllt und überall stehen die Türen der Bäckereien oder Fast-Food-Stationen offen. So ist es in einer modernen Industriegesellschaft kein Problem, sich rund um die Uhr mit kalorienreicher Nahrung und Getränken zu versorgen.
Während die Dicken immer dicker werden, bleiben unter den gleichen Lebensbedingungen jedoch rund 85 Prozent aller Kinder und Jugendlichen normalgewichtig. Warum dies so ist, wird derzeit weltweit erforscht. Wichtige Erkenntnisse über das Körpergewicht und seine Regelmechanismen wurden auf einem Workshop des Instituts Danone Ernährung für Gesundheit in Kooperation mit der ETH Zürich zusammengetragen.
Gene spielen eine Rolle
Aus Zwillingsstudien ist bekannt, dass das Körpergewicht bis zu 70 Prozent durch Gene bestimmt ist. So korreliert der BMI bei eineiigen Zwillingen wesentlich besser als bei zweieiigen Zwillingen oder Geschwistern. Bei den meisten Adipösen sind mehrere Gene für das Übergewicht verantwortlich (polygener Ursprung). Bei wenigen Kindern, die sehr früh sehr dick werden, ist inzwischen geklärt, dass das Übergewicht auf einzelne Gene zurückgeht. Bei ihnen wurden Mutationen in Genen nachgewiesen, die am Leptin-Melanocortin-Weg beteiligt sind. Doch dies erklärt nicht, warum erst seit den letzten 30 Jahren das Körpergewicht bei vielen Menschen so rasant zunimmt. In dieser kurzen Zeit können sich die Gene nicht so dramatisch verändert haben. Angenommen wird daher, dass normale Genvariationen in der Bevölkerung prädisponierende Faktoren für eine Adipositas sind.
»Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Adipositas könnte eine gestörte Appetitregulation spielen«, sagte Professor Dr. Anette Grüters-Kieslich von der Charité in Berlin auf dem Workshop in Zürich. Bei genomweiten Assoziationsstudien durch Vergleich zwischen normalgewichtigen und übergewichtigen Menschen wurden bislang zwei Genorte gefunden, die das Gewicht beeinflussen: das FTO- und das FTM-Gen. Beide stehen mit der Appetitregulation in engem Zusammenhang. Sie werden im Hypothalamus durch Hungern und Nahrungsaufnahme reguliert, wie Studien mit Mäusen zeigen.
Niemals satt
Erfahrungen an der Charité zeigen zudem, dass viele stark übergewichtige Kinder, die früh adipös werden, ähnliche Probleme haben, wie sie auch bei pädiatrischen Krankheitsbildern wie dem Prader-Willi-Syndrom auftreten: nämlich ein unbegrenztes Hungergefühl. Egal wie viel die Betroffenen essen, sie werden niemals satt. Unter einer ähnlich fehlgesteuerten Appetitregulation leiden Kinder und Jugendliche, deren Leptin-Melanocortin-Weg gestört ist.
Die Fettzellen des Körpers produzieren das Hormon Leptin und geben es in die Blutbahn ab. Es signalisiert dem Hypothalamus, wie groß die Energievorräte in den Fettspeichern sind. Proportional zur Körperfettmasse steigt und fällt daher der Leptinspiegel im Blut. Bei hohen Leptinkonzentrationen bremsen Neurotransmitter das Hungergefühl. Die Nahrungsaufnahme geht zurück, damit schwinden auch die Energiereserven und die Fettzellen schütten weniger Leptin aus. Vor allem im Nucleus arcuatus aber auch im Nucleus paraventricularis des Hypothalamus wirkt Leptin als appetitregulierendes Hormon. Wird diese Hirnregion beispielsweise durch einen Tumor zerstört, kommt es bei den Betroffenen zu einem andauernden Hungergefühl, und Adipositas ist die Folge. Der Regelkreis ist durchbrochen.
Schon seit Jahren ist die Rolle des Leptins durch speziell gezüchtete Knock-out-Mäuse nachgewiesen. Fehlt Leptin aufgrund eines Gendefekts, entwickeln die Tiere eine übermäßige Fresssucht (Hyperphagie). Sobald sie jedoch regelmäßig Leptin-Gaben erhalten, werden sie wieder schlank und können sich besser bewegen. Auch übergewichtige Menschen, die durch eine komplette Deletion oder eine Mutation im Leptin-Gen einen Leptin-Mangel aufweisen, konnten inzwischen erfolgreich mit Leptin behandelt werden.
Eine ebenso wichtige Rolle im Leptin-Melanocortin-Weg spielen der Leptin-Rezeptor, das im Hypothalamus exprimierte Präkursor-Protein Proopiomelanocortin (POMC) sowie der Melanocortin-4-Rezeptor (MC4-Rezeptor). Aufgabe dieses Rezeptors ist es, die Signale zur Einstellung der Nahrungsaufnahme und zur Erhöhung der Stoffwechselrate vom Hypothalamus aus in höhere Hirnzentren zu verschicken. Aktiviert wird er durch die Melanozyten-stimulierenden Hormone alpha und beta. 2007 konnte gezeigt werden, dass beide Neuropeptide aus POMC gebildet werden und an den MC4-Rezeptor binden.
An der Charité werden Kinder mit angeborenem POMC-Mangel betreut. Zunächst aufgefallen waren sie durch einen angeborenen ACTH(Corticotropin)-Mangel, eine damit einhergehende Nebenniereninsuffizienz und ihre roten Haare. Die zunächst auf Cortisol-Mangel behandelten Kinder wurden im Verlauf ihres Lebens immer dicker. So brachte ein betroffenes Mädchen mit elf Jahren bereits 117 Kilo auf die Waage und hatte einen manifesten Typ-2-Diabetes entwickelt. Ihre Eltern gaben an, dass ihr Kind immer hungrig sei. Selbst auf einem Kindergeburtstag lenke kein Spiel die Betroffene vom Essen ab.
Bislang gibt es jedoch noch keine Therapie des POMC-Mangels. Obwohl POMC-knock-out-Mäuse abnehmen, wenn ihnen regelmäßig Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) injiziert wird, sind die Versuche umstritten. So ist MSH nicht ohne Weiteres in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Analoga des Hormons, bei denen es keine Probleme mit der Blut-Hirn-Schranke gibt, wie etwa MT2, haben deutliche Nebenwirkungen. So steigert MT2 das Sexualverhalten und führt beim Mann zu einer Dauererektion, wie Selbstversuche von Ärzten zeigen.
Bis zu 5 Prozent aller adipösen Kinder und Jugendlichen sind von einer Störung des Leptin-Melanocortin-Wegs betroffen. Da sie niemals satt werden, sind normale Diäten zur Gewichtsreduktion für sie keine Alternative. So zeigte ein Behandlungsversuch von Kindern mit defektem Leptin-Rezeptor, dass die Betroffenen zwar kurzfristig abnehmen können, aber auf Dauer eher das Gegenteil erreichen. Aufgrund ihrer ständigen Gier nach Essen wurden die Patienten unter kasernenartigen Bedingungen fast ein Jahr auf eine Energieaufnahme von 800 kcal täglich gesetzt. Dabei bestand für sie keine Chance, zusätzlich an Nahrung heranzukommen. Nach der Therapie stieg ihr Körpergewicht unter normalen Lebensbedingungen jedoch massiv wieder an. Weil er dicker war als zuvor, nahm sich sogar einer der Studienteilnehmer das Leben. Doch nicht alle Menschen, die beispielsweise eine MC4-Rezeptor-Mutation aufweisen, werden adipös. Was die Betroffenen nicht krank werden lässt, ist bisher noch ein Rätsel. Vermutet wird, dass modifizierende Gene beteiligt sind, die den Defekt überspielen.
Grütes-Kieslich ist davon überzeugt, dass unter den 15 Prozent hochadipöser Kinder noch weitere sind, die einen bisher noch unbekannten Gendefekt aufweisen, der ihre Appetitregulation entgleisen lässt. »Viele von ihnen essen ständig und kennen fast keine Nahrungspausen mehr«, berichtete die ärztliche Leiterin des Charité Centrums für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin. Bevor die Mechanismen des Dickwerdens nicht endgültig geklärt sind, sollte man daher mit Schuldzuweisungen und der Unterstellung eines fehlenden Willens zum Abnehmen vorsichtig sein, denn dies könnte sich wie bei den Patienten mit Prader-Willi-Syndrom und den Patienten mit gestörtem Leptin-Melanocortin-Weg als böses Vorurteil erweisen.
http://www.uni-kiel.de/unizeit/index.php?bid=350801
Gierig nach Glutamat
Das als Geschmacksverstärker vielen Lebensmitteln zugesetzte Glutamat führt bei Ratten zu Gefräßigkeit. Professor Michael Hermanussen von der Kinderklinik sieht in dem Würzmittel eine Ursache für krankhaftes Übergewicht beim Menschen.
Foto: pur.pur
Glutamat ist in unserer täglichen Kost allgegenwärtig. Kaum ein Fertiggericht oder Würzmittel kommt ohne den Geschmacks träger aus. Glutamat ist aber nicht nur ein Zusatzstoff für Lebensmittel, es ist auch eine wichtige Aminosäure, ein Einweißbaustein. Milcheiweiß besteht zu 20 Prozent und Fleischeiweiß zu 16 Prozent aus Glutamat. Die Aminosäure wird als Ausgangsstoff körpereigener Proteine benötigt und spielt als Botenstoff (Neurotransmitter) im Gehirn eine wichtige Rolle. So ist Glutamat unter anderem an der Schmerzübertragung, am Körperwachstum, an der Gewichtsregulierung und an der Appetitsteuerung beteiligt. Die Zellen des Gehirns produzieren den Neurotransmitter nach Bedarf. Das über die Nahrung zugeführte Glutamat gelangt jedoch nicht ins Gehirn, so die gängige Lehrmeinung, da der Stoff die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren könne.
Nicht alle Wissenschaftler teilen diese Auffassung. Professor Michael Hermanussen, Dozent an der Kieler Universitätskinderklinik, beschäftigt sich schon seit vier Jahren mit der Physiologie und Pathophysiologie von Glutamat. »Aus Tierversuchen wissen wir, wenn man Glutamat in bestimmten Mengen den Tieren über die Nahrung anbietet oder unter die Haut spritzt, dann geht die Substanz ins Blutserum«, erklärt Hermanussen, der in Gettorf eine Kinderarztpraxis hat. »Und wenn bestimmte Serummengen überschritten sind, gelangt das Glutamat auch ins Gehirn. Offensichtlich hat die Blut-Hirn-Schranke Lecks.« Diese Durchlässigkeiten liegen zum Beispiel im Hypothalamus, einem zentralen Hirnbereich, der an der Hunger- und Sättigungsregulation maßgeblich beteiligt ist. »Wenn man Ratten über eine Magensonde ein Aminosäuregemisch gibt, dann erscheinen deutlich erhöhte Glutamatspiegel im Hypothalamus«, so Hermanussen.
Der Blick aufs Etikett verrät, ob dem Lebensmittel Glutamat zugesetzt wurde. Foto: pur.pur
So ohne weiteres lassen sich die Versuche an Ratten zwar nicht auf die Situation beim Menschen übertragen, aber die entscheidenden Teile der Appetitregulation sind bei Ratte und Mensch ziemlich ähnlich. Hermanussen: »Bei Ratten kann man definitiv sagen, dass glutamatreiche Kost die Gefräßigkeit fördert. Wir geben den Ratten Glutamat, dann fangen sie an zu fressen, und dann geben wir ihnen einen Rezeptorblocker dazu, der die Wirkung des Glutamats an der Nervenzelle unterbindet, und sie hören wieder auf. Das geht wirklich schnell.« Der indirekte Nachweis gelingt auch beim Menschen. »Wir haben stark übergewichtigen Menschen den Glutamatrezeptorblocker gegeben. Innerhalb von Stunden berichteten diese Patienten, dass der Essdrang nachlässt, und in der Folge nehmen sie ab.«
Eine aktuelle Studie von Hermanussen und Kollegen aus Madrid, München und Greifswald bestätigte nicht nur den Einfluss von Glutamat auf die Appetitregulation, sondern auch auf das Wachstum*. An 30 trächtigen Rattenweibchen sowie deren Nachwuchs erkundeten die Wissenschaftler die Effekte von Glutamat in verschiedenen Dosierungen. Die Tiere, die die höchsten Glutamatmengen zugefüttert bekamen, verdreifachten ihre Trinkmenge und verdoppelten fast ihre Nahrungsaufnahme. Weiterhin stellten die Forscher einen Zusammenhang zwischen aufgenommener Glutamatmenge und Größenwachstum der Jungtiere fest. Rattenweibchen mit der höchsten Glutamatbeimengung im Futter brachten Junge mit einem deutlich niedrigerem Geburtsgewicht zur Welt. Auch während der Säugungsphase blieb das Größenwachstum des Nachwuchses deutlich zurück hinter dem gleichaltriger Tiere von Müttern ohne oder mit weniger Glutamat im Futter. Dieser Effekt geht mit einer geringeren körpereigenen Produktion des Wachstumshormons (Somatropin) einher. Dieses Hormon steuert nicht nur das entwicklungsgemäße Körperwachstum, es hat auch Einfluss auf die Fettverbrennung und wirkt der Fettleibigkeit entgegen. Jungtiere, die vor ihrer Geburt Glutamat über die mütterliche Nahrung erhalten hatten, hatten im Blut geringere Konzentration des Wachstumshormons als die anderen Tiere.
Parallel hierzu prüften die Wissenschaftler die Hypothese, dass krankhaftes Übergewicht beim Menschen in engem Zusammenhang mit geringer Körpergröße steht. Dazu werteten sie die Daten von rund 800.000 deutschen Wehrpflichtigen und knapp 1,5 Millionen Frauen aus. Sie stellten fest, dass bei krankhaftem Übergewicht (Bodymass-Index BMI über 38) die Durchschnittsgröße dieser Personen kontinuierlich sank. Bei den Wehrpflichtigen war dieser Zusammenhang deutlicher ausgeprägt als bei den Frauen.
Aus diesen Befunden schließt Hermanussen, dass der häufig eingesetzte Nahrungszusatzstoff Glutamat in Mengen, die nur wenig über denen liegen, die wir täglich mit der Nahrung aufnehmen, ein beachtenswertes Potenzial zur Störung der Appetitregulation hat und dadurch den Hang zum weltweit verbreiteten Übergewicht fördert. (ne)
Hermanussen M. et al.: Obesity, voracity and short stature: the impact of glutamate on the regulation of appetite. European Journal of Clinical Nutrition. 2006; 60: 25-31.
Definition und Determinanten des Ernährungsverhaltens
Im Folgenden wird das Ernährungsverhalten aus Sicht der Physiologie, Ökologie, Wirtschaftwissenschaften, Psychologie und Sozialwissenschaften dargestellt. Durch den multifaktoriellen Charakter kann es zwischen diesen Sichtweisen zu Überschneidungen kommen. (Halk, 1993)
Physiologische Determinanten
Der menschliche Organismus verfügt über Regulationsmechanismen, die die Nahrungsaufnahme langfristig dem Energieverbrauch anpassen. Während beim Tier diese Regulation als Instinkt bezeichnet wird, spielen beim Menschen externe, z.B. psychosoziale Faktoren eine Rolle, die den Regulationsmechanismus überdecken können. Diese Überlagerung beginnt schon im Säuglingsalter. Deshalb ist es beim Menschen schwierig, den Grad von Hunger und Sättigung zu bestimmen. Man erhält bei Untersuchungen lediglich den subjektiven Eindruck des Menschen über Appetit, Hunger und Sättigung. Wie genau der Mechanismus funktioniert, ist wissenschaftlich noch unzureichend erforscht. In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass der laterale und ventromediale Hypothalamus bei der Regulation der Nahrungsaufnahme von großer Bedeutung sind. Der laterale Hypothalamus wird als Hunger-, Fress- oder Appetitzentrum und der ventromediale Hypothalamus als Sättigungszentrum bezeichnet. Obwohl auch noch andere Gehirnhälften Regulationsfunktionen besitzen, wird bei Untersuchungen von Hunger und Sättigung vor allem mit diesen beiden Bereichen gearbeitet.
Die physiologische Regulation der Nahrungsaufnahme lässt sich in drei
Bereiche unterteilen:
die afferente Kontrolle,
die zentralnervöse Appetitregulation und
die efferente Kontrolle.
Bei der afferenten Kontrolle der Nahrungszufuhr sind zur Erreichung der Sättigung sensorische Signale wie Aussehen, Geruch, Geschmack, Textur, Speichelfluss und Füllung des Verdauungstraktes erforderlich. Daneben spielen noch Rezeptoren und Verdauungshormone eine Rolle. Wichtigsten Bestandteile der zentralnervösen Appetitregulation sind Neurotransmitter, die entweder stimulierend oder hemmend auf die Nahrungszufuhr wirken. Die efferente Kontrolle vermittelt entweder Informationen über synapische und parasynaptische Bahnen oder gibt Hypophysenhormone und Peptide zur Peripherie weiter. ( Biesalsky, 1999 und Elmadfa/Leitzmann, 1998)
Ökologische Determinanten Die Ernährungsweise des Menschen wird durch natürliche Standortbedingungen der Agrarproduktion beeinflusst. Ökologische Bedingungen wie Klima, Boden, Höhenlage und Hangneigung bestimmen den Anbau von Nutzpflanzen in einem Gebiet. Der Mensch hat sich zunächst immer von den Nahrungspflanzen und tierischen Produkten ernährt, die er in seinem Lebensraum vorgefunden hat. Es wurden vor allem als Grundnahrungsmittel diejenigen Nahrungsmittel verzehrt, die den Standortbedingungen der Region am besten angepasst waren. Beim Übergang zur systematischen Landwirtschaft war der Mensch erstmals in geringerem Maße von der Natur abhängig. Fortschritte bei Pflanzenzüchtung, Bewässerung und Transport geben der Landwirtschaft heute mehr Freiheit. Durch den Kauf bestimmter Nahrungsmittel unterstützt der Verbraucher die Anbauart und eventuelle politische Bedingungen, die ihre Erzeugung und den Vertrieb ermöglichen. Da in den letzten Jahren immer mehr Menschen beginnen, ihre Lebensweise im Zusammenhang mit ihrer Umwelt zu sehen, hat diese neue „ökologische Denkart“ ebenfalls an Einfluss auf das menschliche Ernährungsverhalten gewonnen. Zunehmende Umweltzerstörung, Ressourcen- und Energieverschwendung, Zivilisationskrankheiten und andere globale Probleme machen den Verbraucher sensibler für die Umwelt. Gerade die Ernährung bietet unzählige Ansatzpunkte für ein umweltverträgliches Verhalten. Der Verbraucher heute versucht sein Ernährungsverhalten so zu gestalten, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden und er darüber hinaus einen Beitrag zur Verbesserung der Umweltverhältnisse leistet, auch im Hinblick auf die folgenden Generationen. (Blanckenburg, 1986 und Spitzmüller, 1993)
Ökonomische Determinanten
ökonomische Faktoren wirken ebenfalls auf das Ernährungsverhalten ein. Die ökonomisch orientierte Ernährungsforschung interessiert, welche Kräfte in der Wirtschaft und am Markt wirksam werden und wie sich die ökonomische Situation der Menschen darstellt, die in der Volkswirtschaft leben. Der größte Teil der verzehrten Nahrungsmittel wird durch Kauf erworben, wobei die Kaufkraft die Nachfrage nach einem Nahrungsmittel bestimmt. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel bezogen auf das Gesamteinkommen ist in den letzten Jahren immer geringer, aber nicht unbedeutend geworden. Wie hoch die effektive Nachfrage ist, hängt unter anderem vom Preis der Lebensmittel, dem Einkommen, dem Preis anderer Konsumgüter, der Größe und Zusammensetzung der Haushalte, demographischen Faktoren, Konsumnormen und Verbrauchsgewohnheiten ab.
Die Beziehung zwischen Einkommen, Preis und Nahrungsnachfrage wird mit Hilfe des Elastizitätsbegriffs gemessen. Die Einkommenselastizität beschreibt die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge nach einem Gut, wenn sich das Einkommen um 1% ändert. Die Preiselastizität gibt die prozentuale Änderung der nachgefragten Menge nach einem oder mehreren Nahrungsmitteln an, wenn sich deren Preis um einen bestimmten Prozentsatz ändert. Mit Hilfe dieser beiden Begriffe lässt sich eine Änderung in der Nachfrage, z.B. durch Verlust des Einkommens, besser erfassen. Die Gründe einer veränderten Nachrage sind vielseitig und individuell verschieden. (Blanckenburg, 1986)
Psychologische Determinanten
Die Ernährungspsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie und beschäftigt sich mit den psychologischen Einflussfaktoren des menschlichen Ernährungsverhaltens. Alle seelischen Vorgänge werden durch innere und äußere Faktoren gesteuert. Daher besteht das Ernährungsverhalten aus einem Produkt der zentralen psychischen Verarbeitung von internen und externen Faktoren, die im Moment der Nahrungsaufnahme vorherrschen. Die Informationen der internen und externen Einflussfaktoren werden von jedem Menschen individuell strukturiert und verarbeitet und wirken so direkt oder indirekt auf das Ernährungsverhalten ein. Beispiele für externe Faktoren sind Arbeitsplatz, soziales Umfeld, Klima oder ärztliche Diätvorschriften. Für interne Faktoren stehen physiologische Bedürfnisse (Hunger), Einstellungen, Werte, Alter oder Kenntnisse und für Faktoren mit übergreifendem Charakter Erziehung, Schule, Kultur, Schicht oder Bezugsgruppe.
Die Entwicklung des Ernährungsverhaltens beginnt bereits beim Neugeborenen. Die bedarfsgerechte Steuerung der Nahrungsaufnahme wird durch die intensiven Körpergefühle des Hungers und der Sättigung reguliert. Dieses Primärbedürfnis ist angeboren. Nahrungspräferenzen und
-gewohnheiten, also Sekundärbedürfnisse, formen sich erst durch das Einsetzen von soziokulturellen Lernprozessen. Diese Entwicklung setzt schon kurz nach der Geburt des Menschen durch Kontakt, Erfahrung mit bestimmten Speisen, Geschmacksrichtungen und Umwelteinflüssen ein. Die einzige Ausnahme stellt hierbei die angeborene Präferenz von Neugeborenen für süßen Geschmack und Ablehnung von bitteren Substanzen dar. Die natürliche Hunger- und Sättigungsregulation wird mit zunehmendem Alter immer mehr von außen beeinflusst und durch kulturelle Einflüsse überlagert. Nahrungsmittel dienen nicht nur der menschlichen Ernährung, sondern besitzen noch weitere Funktionen, z.B. ist Schokolade für viele Menschen ein Hilfsmittel beim Stressabbau. Aufregung, Ärger, Angst, Langeweile und Freude könne das Ernährungsverhalten über den Appetit beeinflussen. (Diehl,1986 und Pudel/Westenhöfer, 1991)
oziokulturelle Determinanten
Wird Ernährungsverhalten aus soziokultureller Perspektive beschrieben, steht die soziale Einbettung von Lebensmitteln und deren Deutung und Wahrnehmung im Mittelpunkt. Was gegessen und getrunken werden darf und auch, auf welche Art und Weise es zubereitet und wie es verzehrt wird, ist das Resultat sozialer Prozesse und individueller Deutungen. Sei es bei der Erziehung eines Kindes, der lebenslang andauernden Sozialisation im Freundes- und Kollegenkreis oder in der Auseinandersetzung mit medial vermittelten Botschaften; unser Verständnis von der Bedeutung eines Lebensmittels und gar eines ganzen Ernährungsstils ist geprägt von sozialkulturellen Handlungen, Kommunikation und der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Dass heißt, Lebensmittel enthalten nicht nur Nährstoffe, die der Organismus zur Reproduktion benötigt, sondern sie fungieren zugleich als Symbole eines bestimmten Lebensstils und sind zwingend mit Wertungen aufgeladen. Ebenso repräsentieren Lebensmittel und ihr Konsum immer explizite, aber unterschiedliche Verständnisse von Kultur, Natur und sozialer Ordnung (Eder 1988).
Der Geschmack wird in der Erforschung des Ernährungsverhaltens nicht nur als körperlicher Sinn betrachtet, sondern er ist immer auch Resultat gesellschaftlicher Strukturen (Dollase 2006; Jä-ckel/Kofahl 2009). Was wir wie schmecken, und wie wir darüber überhaupt reden, ist abhängig von der Kultur und den sozialen Beziehungen in die einzelne Essende integriert sind sowie welche Sprache ihnen zur Verfügung steht (Lemke 2005). Gerade der Geschmack ist ein charakteristisches Merkmal von Klasse, Schicht, Milieu oder ethnischer Zugehörigkeit. Wird er im sozialen Bereich verwendet, trennt er, ähnlich wie beim Essen, Gleiches von Ungleichem. Gleichartiger Geschmack integriert den Einzelnen in eine Gruppe, ungleicher Geschmack betont dagegen Individualität bis hin zur bewussten Abgrenzung. Daraus lassen sich die Abweichungen in den einzelnen Schichten und Gruppen erklären.
Weiterhin ist in der soziokulturellen Betrachtung des Ernährungsverhaltens die Bedeutung der Mahlzeit und Tischgemeinschaft herauszustellen. Die Mahlzeit ist eine soziale Institution, die in allen Gesellschaften vorkommt und nahelegt, wie die Nahrungsaufnahme als soziale Situation zu gestalten ist. Die Verarbeitung von Lebensmitteln zu Speisen unterliegt überall sozialen Normen und kulturellen Vereinbarungen. Wie die Mahlzeit geregelt ist, ist jedoch von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Region zu Region, von Person zu Person unterschiedlich. (Barlösius 1999; Kutsch 1993) Hier Zusammenhänge zu analysieren ohne die individuellen Besonderheiten zu vernachlässigen stellt eine besondere Herausforderung für die Analyse des Ernährungsverhaltens aus soziokultureller Sicht dar.
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Barlösius, Eva (1999): Soziologie des Essens, Weinheim, München.
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Biesalsky, Hans-K. (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1999
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Blanckenburg, Peter von: Welternährung. München: Beck, 1986
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Bodenstedt, A. Andreas: Ernährungsverhalten und Ernährungsberatung. In: H. D. Cremer (Hrsg.), Handbuch der Landwirtschaft und Ernährung in den Entwicklungsländern. Band 2: Nahrung und Ernährung. 2. Auflage. Stuttgart (1983), S. 239 – 267
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Diehl, Joerg M.: Ernährungspsychologie. 3. Auflage. Eschborn: Fachbuchhandlung für Psychologie, 1986
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Dollase, Jürgen (2006): Kulinarische Intelligenz, Wiesbaden.
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Eder, Klaus (1988): Die Vergesellschaftung der Natur, Frankfurt a.M.
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Elmadfa, Ibrahim; Leitzmann, Claus: Ernährung des Menschen. 3. Auflage. Stuttgart: Ulmer, 1998
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Jäckel, Michael/Kofahl, Daniel (2009): „Man hat etwas anderes vermutet …“ Zur Phänomenologie des kulinarschen Geschmacks. In: Berliner Debatte Initial 20, Nr. 2, S.117-134
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Halk, Karin: Bestimmungsgründe des Konsumentenmisstrauens gegenüber Lebensmitteln. München: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, 1993
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Harald Lemke (2005): Phänomenologie des Geschmackssinns, In: Dietrich von Engelhardt, Rainer Wild und Gerhard Neumann (Hrsg.), Geschmackskulturen, Campus Verlag New York Frankfurt/M., S. 183-204
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Kutsch, Thomas: Ernährungssoziologie. In: Kutsch, T., Ernährungsforschung – interdisziplinär. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (1993), S. 98 – 135
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Pudel, Volker; Westenhöfer, Joachim: Ernährungspsychologie. Göttingen: Hogrefe, 1991