Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Topinambur: Viel zuviel versprochen!

Erstellt von r.ehlers am Sonntag 5. Juli 2015

Auf einer Geschäftsreise durch China im Jahr 2000 lernte ich die Kautabletten KUIKE kennen, die als Abnehmmittel („weight loss crisps“) angeboten und von der Volksrepublik sogar als „Staatsprodukt“ geehrt worden waren. Ich verzehrte KUIKE auf leeren Magen und war peplex, dass es mich schon am ersten Tag tags topfit hielt und nachts herrlich schlafen ließ. Die Art des Verzehrs getrockneter Pflanzennahrung auf leeren Magen hält mich seither gefangen,

Nur abnehmen konnte ich damit nicht. Auf abenteuerlichen Wegen erfuhr ich, dass die Pekinger Hersteller von KUIKE – ohne es auf dem Etikett sichtbar zu machen – eine nach ihrer Auffassung entscheidende Zutat hineingegeben hatten: eine wie beim Hexentanz  kreisförmig im Boden wachsende Knolle, die auch „Hexentaro“ oder Maya-Taro.Knolle genannt wurde. Später erfuhr ich alles über diese Knolle, die nur in Höhen von über 3000 m in Sezuan wuchs, sie enthält an Stelle abbaubarer Kohlenhydrate aus Stärke hochkomplexe Kohlenhydrate (Inuline), die nicht im Dünndarm abbaubar sind, also auch nicht die Kalorienbilanz des Körpers erhöhen und auch nicht die Insulinausschüttung im Blut anheben.Inzwischen ist diese Knolle als Konjakknolle auch im Handel.

-de.wikipedia.org-

Topinamburknolle

Auf meiner Suche nach den phantastischen mentalen Wirkungen von KUIKE stieß ich darauf, dass die Konjakknolle einen ihr ganz ähnlichen Vetter hat, der bei den Indianern in Kanada das Licht der Welt entdeckt hatte:die Topinambur! Sie war in den Jahren nach 1612, als sie im französichen Neu-Kanada half, eine schreckliche Hungersnot zu bekämpfen. nach Europa gebracht worden, wurde aber nur bei Hof gegessen. In ihrer Renaissance im 20. Jahrhundert entstand ähnlich wie in China um die Konjakknolle auch um die Topinambur die Vorstellung, dass sie ein perfektes Mittel zum gesunden Abnehmen sei.

Bedeutender Protagonist der Meinung, dass die Topnambur „gut sei“ zum Abnehmen, ist der bekannte Lebenmittel- und Biotechnologe Professor Dr. Günter Bärwald. In seinem Buch „Gesund abnehmen mit Topinambur“, Trias, 1. Aufl. 1999, 2. Aufl. 2008, erklärt er, dass drei Gründe für die Abnehmwirkung maßgeblich seien (S. 57),

  1.  die Verringerung der Kalorienbilanz  durch den Ersatz abbaubarer Stärken durch Inuline, dazudie
  2.  Herstellung eines Sättigungseffekts und schließlich
  3. einer Appetitzügelung durch Topinambur.

Dr. Bärwald sieht in der Topinambur daher einen „natürlichen Appetithemmer“.

Leider geht die Rechnung nicht auf:

  1. Der Körper lässt sich nicht betrügen. Wenn er einen Bedarf an Glukose meldet, holt er sich diese unabhängig davon, ob er auch Kohlenhydrate mitbekommt, die nicht in Blut gelangen können.
  2. Der Tag hat 24 Stunden, Zeit genug um alle Essfehler der Welt zu machen, nachdem ich einmal eine mahlzeit mit Topinambur gegessen habe. Der psychische Drang zum Essen wird natürlich von Topinambur nicht angesprochen.Schließlich gibt es nur ein einziges Sätigungshormon, das Cholezystokinin, das im Dünndarm von den dortigen !i-Zellen“ sezerniert wird, wenn über den Nahrungsbrei Fette und Aminosäuren ankommen – eben nicht die Kohlenhydrate!
  3. Dr. Bärwald spricht unter der Überschrift, dass das Hungergefühl gedämpft würde, von Topinambur als einem Appetitzügler. Hunger und Appetit sind aber zwei verscheidenen Phänomene. Der Umstand, dass in Topinambur auch die Aminosäure L-Tryptophan enthalten ist, soll Hinweis genug sein, dass der Appetit/der Hunger hormonell weggeregelt würde – und zwar über das Esskontrollhormon Serotonin, dessen hauptbaustein gerade diese Aminosäure ist. Es gibt aber kaum Eiweiße, die nicht auch L-Tryptophan in neneswerten Anteilen enthalten. Und bloß, dass die Aminosäure in der verzehrten Nahrung enthalten ist, bedeutet nicht, dass der Botenstoff Serotonin auch zur Herstellung kommt!

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Leser, besonders nicht, wenn Sie darauf „geeicht“ sind, immer ein Auge zu haben für die angesagtesten Lebensmittel! Ich halte die Topinamburknolle für ein wertvolles Lebensmittel, das es verdient als Gemüse und auch in getrockneter und gemahlener Form als Teil nativer Nahrung eingesetzt zu werden. Es hat da wertvolle physiologische Funktionen. Aber es ist kaum jemals unersetzlich! Und es ist in keiner Weise ein Abnehmmittel oder ein Heilmittel. Mag sein, dass jemand in Kombination mit vielen anderern Maßnahmen besser abnimmt, weil er mit Topnambur nicht das „Dickmacherhormon“ Insulin lockt. Ich kan auch nicht ausschließen, dass ein erfahrener Orthomolkularmediziner einmal eine hilfreiche Kur mit viel oder hoch konzentrierter Topianmbur entdeckt. Aber ansonsten ist es ein Gemüse, weiter nichts.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an meinen gerade veröffentlichen Beitrag: http://www.essenspausen.com/brett-vor-dem-kopf-monokausales-denken-irgendwobei-gut-ist-loest-nicht-gleich-alle-probleme.

Wenn ich mich angesichts der in der Natur regelmäßig höchst komplex ablaufenden Wirkzusammenhänge mit der Erforschung eines Teils der Ursachen und Wirkungen befasse, verspreche ich zwangsläufig viel  zuviel!