US-Studie: Depressionen unabhängig von Serotonin?
Erstellt von r.ehlers am Montag 13. Oktober 2014
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es in den medizinischen Wissenschaften in aller Welt kein größeres Thema als die Bedeutung des Gehirnbotenstoffes Serotonin für den Erhalt der mentalen und körperlichen Gesundheit. Serotonin, das den Beinamen Hormon der 90er („hormone of the nineties“) erhielt, löste Melatonin als den „Regler aller Regler“ (Pierpaolo und Regelson) ab. Alle Untersuchungen zeigten, dass der Transmitter Serotonin bei der großen Zahl der „modernen“ Menschen nicht ausreichend zur Verfügung stand. Auch gab es nach allen Untersuchungen und Studien eine absolute Übereinstimmung, dass die grassierenden psychischen Erkrankungen wir insbesondere Depressionen, chronische Müdigkeit, Burnout, Kopfschmerz, Angst, Zwang und die Wach- und Schlafprobleme auf eine mangelhafte Versorgung mit Serotonin zurückzuführen sind.
In dieser Zeit sprossen auch die intensiven Bemühungen, den Weg zur Anhebung des Serotoninspiegels zu finden. Man fand diesen Weg leider nicht, wohl aber chemische Substanzen, die künstlich die Dauer der Serotoninaktivität an der Übergabestelle der neuronalen Informationen (Synapsen) verlängerte. Damit hatte die Pharmazie keine Mittel gegen die Krankheiten gefunden, wohl aber einen gewaltigen Markt für ihre patentierten Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) von Prozak bis Cipralex und Sertralin (und Hunderte Handelsprodukte mehr). Daneben kamen viele Bemühungen auf, wenigstens Zwischenstufen des chemischen Aufbaus oder Umbaus von Serotonin therapeutisch zu nutzen, wenn man schon nicht wusste, wie man den Stoff ins Gehirn hinein kriegte. Jahrelang wurde und wird bis heute der amerikanische Markt überschwemmt mit Tryptophan-, 5 H T P – und Melatonin-Produkten. In Europa, wo weniger Werbemilliarden für diese Dinge ausgegeben wurden, erfuhr die Allgemeinheit von der ganzen Problematik recht wenig.
Bedeutende Forschungsbemühungen zur Verbesserung der Verfügung über den Botenstoff Serotonin gibt es heutzutage nicht. Das Geld müsste ja gerade von der Industrie kommen, die sich in diesen Jahren und Jahrzehnten mit den SSRI dull und dämlich verdient! Aber bescheidene Bemühungen um das Thema gibt es doch. Es handelt sich um kleine Studien außerhalb der großen Forschungseinrichtungen. Über sie wird sogar hier und da berichtet.
Ich gebe hier einmal wieder, wie Ärzte aus einem 108-Betten-Krankenhaus in Detroit auf Grund ihrer eigenen Forschungen zum Ergebnis gekommen sind, dass zwischen der Verfügung über Serotonin im Gehirn und dem Aufkommen von Depressionen vielleicht gar kein nennenswerter Zusammenhang besteht,
s. http://www.medicalnewstoday.com/releases/281645.php
Der Bericht ist leider nicht in deutscher Sprache verfügbar. Ich übersetze daher (frei) die Kernaussagen.
Professor Donald Kuhn
Der Arzt und Psychiater Professor Donald Kuhn und Kollegen am John D. Dingell VA Medical Center, einem 108-Betten Krankenhaus und der Wayne State University School of Medicine in Detroit haben eine Reihe verhaltensmedizinischer Untersuchungen an Labormäusen vorgenommen, die sie zur Annahme führt, dass ein Mangel an Serotonin wohl gar nicht viel mit der Entstehung von Depressionen zu tun hätte.
Ausgangspunkt ihrer Studie ist die praktische Beobachtung, dass 60 bis 70 Prozent der an der Depression erkrankten Patienten durch die Psychopharmaka wie Prozac gar nicht geholfen wird. Statt ihren Labormäusen zu mehr Serotonin zu verhelfen (wie denn auch?) kamen sie auf die Idee, „Knockout-Mäuse“ zu züchten, die die Fähigkeit verloren, in ihren Gehirnen überhaupt Serotonin zu erzeugen. Donald Kuhn und sein Team berichten, dass ihre besonderen Mäuse zwangsgestört und extrem aggressiv waren. Unter Druck hätten sich diese Mäuse aber „normal“ verhalten. Überdies habe ein Teil der Mäuse auf die Gabe von Psychopharmaka auch nicht anders reagiert als normale Mäuse. Im Ergebnis stellen sie fest, dass ihre Versuchstiere durchweg kein typisch depressives Verhalten gezeigt hätten.
Sie formulieren ihre Ergebnisse so, dass sie „Beweis sein könnten“ dafür, dass Serotoninmangel kein maßgebender Auslöser für die Entstehung von Depressionen seien und dass andere Faktoren in die Beurteilung einbezogen werden müssten. Sie schlussfolgern, dass ihre Ergebnisse auf dramatische Weise die Suche nach neuen Antidepressiva in der Zukunft verändern sollte.
Meine Kritik:
Wie kann man „Knockout-Mäuse“ erzeugen, die nicht in der Lage sind, in ihrem Stammhirnen Serotonin zu erzeugen, wo man doch gar nicht weiß, unter welchen Bedingungen es dort überhaupt entsteht? Wie kann man den Erfolg des Eingriffs bei den Mäusen nachweisen? Was ist mit Nebenwirkungen, die im Erfolgsfalle mehr bedeuten müssen als Zwangsstörungen und Aggressivität?! Was kann am Verhalten von Mäusen noch „normal“ sein, die gar kein Serotonin mehr im Kopf haben?
Die Versuchsanordnung erinnert mich an schreckliche Vorbilder, Versuchstiere in wichtigen Funktionen zu zerstören, um aus den verbeibenden Reaktionen Schlüsse auf normales oder unnormales Verhalten zu ziehen!
Bezeichnend ist die Schlussfolgerung der Forscher, dass man nach ihren Erkenntnissen jetzt verstärkt nach neuen Antidepressiva suchen solle. Die Verfügung über das Schlüsselhormon Serotonin ist ja nach ihren Erkenntnissen gar nicht mehr von Interesse! Wessen Interessen diese schrecklich simplifizierende und im Ergebnis völlig haltlose Studie aber dient, ist damit sonnenklar.