Richtig Essen

GfE- Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V.

Multi-Tasking allgemein und beim Essen

Erstellt von r.ehlers am Montag 24. Februar 2014

Jeder weiß es, aber kaum einer ändert etwas daran: Wir leiden durchweg am falschen Umgang mit der Zeit. Dieses Übel ist älter als die viel beklagte Hektik der heutigen Zeit. Der allgemeine Zeitdruck unter dem wir uns sehen, macht die Sache natürlich noch schlimmer.

Der uralte fundamentale Fehler ist der, dass wir meinen, uns beliebig mit Aufgaben beladen zu können. Hat nicht jemand festgestellt, dass wir nur einen Bruchteil der Kapazität unseres Gehirns benutzen? Also sehen wir zu, dass wir uns fordern statt unsere Trägheit zu fördern. Aber woher kommt denn die Idee, dass unser Gehirn beliebig  an die technischen Grenzen der Belastung von Nervenzellen und Neuronen geführt werden könnte?!

-de.wikipedia.org-

Der Sonntagsspaziergang, Carl Spitzweg

Lange vor der Industrialisierung, die die Arbeit im Takt der Maschinen einführte, hielten wir die Menschen, die sich als unfähig erwiesen, mehrere Aufgaben zugleich zu erledigen, für Tölpel. Als klug galten und gelten auch heute noch die, die sich schnell in der realen Welt mit ihren vielen verschiedenen Anforderungen orientieren können und in Windeseile eine Entscheidung nach der anderen treffen können. Generationen von Frauen haben sich aus diesem Grunde ihren Männern überlegen gefühlt, weil sie es gelernt hatten, umsichtig zu sein.

Meine patente Tante Emmy trug ihr Leben lang den Spruch vor sich her:

„Die kluge Frau tut keinen Schritt vergebens!“

Wenn sie dann einen Weg vom Keller bis zum Speicher durch das ganze Haus machen musste, weil sie einen Korb auf den Dachboden bringen wollte, erledigte sie auf dem Weg nach oben gleich alle  Aufgaben, die sie links und rechts des Weges sah, etwa die für die Küche später am Tage benötigten Vorräte aus dem Keller mit nach oben zu nehmen, Post vom Briefkasten ins Arbeitszimmer zu tragen und fertige Wäsche zu packen und in den Schlafräume abzulegen. Ohne Zweifel eine kluge Strategie, die die Masse der Hausarbeit in relativ kurzer Zeit bewältigen half. Schickte sie mich oder einen anderen Mann des Hausstands, an ihrer Stelle den Korb hochtragen sollte, konnte sie sicher sein, dass nur dieser Auftrag und sonst gar kein für die Führung des Haushalts wertvoller weiterer Handschlag erledigt wurde.

Ein Grund für die fehlende Umsichtigkeit der Männer ist die ihnen anerzogene Hybris, dass sie praktisch zu jeder Zeit wichtige Dinge in ihrem Kopf bewegten – und sei es, dass sie ihrem Hirn in der Meditation gerade  bewusst eine Pause gönnten. Wenn sie sich mal stören ließen und einen Auftrag übernahmen, war es wichtig, dass sie in seiner Ausführung nicht mit neuen Aufträgen beladen wurden. Sonst erledigten sie nur den neuen Auftrag und wussten dann gar nicht mehr, was sie eigentlich tun wollten.

Das beste Beispiel für den häuslichen Tölpel ist der zerstreute Professor. Ihm unterstellt man, dass er wirklich ständig wichtige Fragen im Kopf hat, die er ohne Blick nach rechts und links konsequent bis zur Lösung verfolgt. Für den Schüler, der in seine schulischen Aufgaben vertieft ist oder den Ehemann, der sich gründlich Gedanken über die große Politik macht, gilt das wohl nicht. Denn ihnen wird vorgehalten, dass sie für die einfachsten Dinge nicht zu gebrauchen sind.

Auch wenn die Gehirne von Mann und Frau erhebliche Unterscheide aufweisen, ist die Fähigkeit, viele Dinge gleichzeitig zu tun, nicht eine genetische Festlegung spezifisch für Frauen. Beide Geschlechter können das nämlich in Wahrheit gleich schlecht. Wenn sie dazu hingeführt werden, können sich Frauen ebenso wie Männer  in einzelne Aufgaben so verbeißen, dass sie für andere Dinge keinen Sinn mehr haben.

Bei der Messung des Intelligenzquotienten wird typischer Weise  die Tiefe und die Qualität der geistigen Arbeit weit weniger gut bewertet als die schnelle Orientierung und die geschwinde Lösung der gestellten Aufgaben.

Erst durch die Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung wissen wir heute genau, dass das Unwerturteil über die vielen zerstreuten Professoren falsch ist. Ebenso verfehlt ist es, auf das Multi-Tasking zu setzen. Mehrere Dinge gleichzeitig tun zu müssen, ist ein schwerer Stress für das Gehirn. Seine bevorzugte Arbeitsweise ist es, jede Aufgabe isoliert von anderen anzugehen. Da dann der Mensch mit allen seinen geistigen Fähigkeiten zu Werke geht, ist die Gewähr für gute Lösungen sehr viel größer. Mit dem ungestörten Zugriff auf seineaktuellen Emotionen wie den alten Erfahrungen und dem gut bedachten richtigen Einsatz seiner verstandesgemäßen Mittel leistet der Mensch sehr viel mehr, als wenn er sich bereits neue Aufgaben vornimmt, bevor die alten erledigt sind.

Was für die Arbeit des Gehirns gilt, gilt ebenso für den Körper und seine Funktionen. Da machen wir heute in der Versorgung unseres Körpers wie der Verwertung unserer Lebensmittel ebenso alles falsch wie bei der Überbeanspruchung des Gehirns beim Multi-Tasking. Zwar ist dort die Abwicklung mehr unbewusst-vegetativ gesteuert. Aber wir kennen doch alle die vielen Ablenkungen, die wir beim Essen und bei der Verstoffwechslung der Nahrung erleben können.

Die Nahrung will frei von Störungen und Anforderungen von außen gegessen werden. Höre ich beim Essen von unangenehmen Dingen, kann es sein, dass „mir der Bissen im Munde stecken bleibt“ oder sich mir gar der Magen dreht. Schlechte Nahrichten verursachen mir Bauchschmerzen, usw..

Sehr viele Menschen habe es sich angewöhnt, beim arbeiten zu essen. Sie machen sich vor, keine Zeit zu haben, sodass sie im Ergebnis mehr leisteten, wenn sie in der für das Essen bestimmten Pause durcharbeiten. Dass sie am Ende viel mehr leisten, wenn sie diese krampfhaften Versuche zur Leistungssteigerung einstellen, machen sie sich nicht klar. In dieselbe Kategorie gehört das Essen beim Gehen und Wandern – obendrein noch mit dem Ohr am Handy. Die ganze Fast Food Industrie, die immer mehr Anteile an der Versorgung der Bevölkerung an sich reißt, bietet Essen „to go“ an, das dann oft im Umhergehen oder beim Fahren im Auto verzehrt wird. Es ist schon ein Fortschritt, wenn sich einer zum Essen hinsetzt!

Auch der Dünndarm, der die eigentliche Arbeit der Verstoffwechslung unserer Nahrung leisten muss, braucht Ruhe. Ein ruhiger Spaziergang (1000 Schritte), bei dem man aber nicht gleich über das Handy alle möglichen Arbeiten erledigt, wird nutzen können, um die Tätigkeit von Magen und Darm ein wenig anzuregen.

In erster Linie braucht man nach dem Essen aber Ruhe, damit der Blutstrom die Verdauungsorgane gut versorgt. Eigentlich weiß das jeder Mensch, denn wer würde schon versuchen, direkt nach dem Essen knifflige Denksportaufgaben zu lösen?

Beim Essen die Zeitung zu lesen, auf das Radio zu hören oder gar in die Flimmerkiste zu blicken ist für den Versorgungserfolg genauso kontraproduktiv wie Streit bei Tisch. Nicht ohne Grund haben unsere Voreltern jedes Gespräch überPolitik vom Esstisch verbannt. Ich war auf meinen Reisen durch China sehr beeindruckt, dass dort das ganze Volk, von den höchstrangigsten Funktionären über die neuen Wirtschaftsmogule bis hin zum einfachen Volk feste Regeln bei Tisch befolgen, die sichern, dass jeder nach Möglichkeit in friedlicher Gemeinschaft mit anderen Menschen isst. Ich war als Anwalt mit einem Mandanten unterwegs und brauchte Zeit zu begreifen, dass es ein Unding war, dass ich bei den Banketten, zu denen wir eingeladen waren, immer wieder versuchte, „die Zeit zu nutzen“ und mit der Erörterung geschäftlicher Fragen anfing. Kein Wunder, dass Chinesen oft uns „Langnasen“ für unkultiviert halten. Wir sind es, weil wir die Grundregeln einer gesunden Esskultur mit Füßen treten.

Hinter der falschen Mehrfachbelastung des Gehirns und der unvernünftigen Verquickung des Essens und Verdauens mit anderen Tätigkeiten steckt, wie eingangs gesagt, der falsche Umgang mit der Zeit. Auch wenn wir tatsächlich viel Zeit haben, geben wir uns unter Zeitdruck. Wir spielen die Gehetzten nur. Auch das hat seinen besonderen Grund. Diese selbst erzeugte Hektik soll auch in der Konkurrenz mit anderen Menschen beweisen soll, dass wir wichtiger sind als sie (Managerkrankheit, s. http://www.essenspausen.com/burnout-managerkrankheit-neurasthenie-alles-nur-depression/).

Fundamentaler als der tägliche Kampf um Arbeit und Sicherheit ist aber, dass unsere scheinbare Schnelllebigkeit  unsere Angst vor dem Leben kaschiert. Dadurch, dass wir unsere Zeit mit allerlei Aktivitäten füllen, erhalten wir ein Gefühl von Inhalt und Sinn unserer Existenz. Geben wir doch einfach dieses Spiel auf! Wir werden sehen, dass sich dann wie von selbst das Bewusstsein der Erfüllung im Leben einstellt.