Depression: Tiefgang bei der Apotheken-Umschau
Erstellt von r.ehlers am Montag 2. Dezember 2013
Sachbezug: Gemütsstörung, Trauer, Melancholie, Depression, Burnout, Suizid, Antidepressiva, Psychologie, Psychoanalyse
Die Apotheken Umschau, die größte deutsche Apothekenzeitung, ist bekannt für ihre absolute Treue zum bestehenden Gesundheitssystem. Dabei wirbt sie auch für alternative Heilmethoden, wenn sie im System gut vermarktet werden können, ohne die große Linie der letztlich allein selig machenden Pharmazie zu stören.
Tiefgang bei ihren Beiträgen, gar einen Ausflug in Kunst und Kultur erwartet man da nicht,
eher grobe Hinweise auf angeblich großartige wissenschaftliche Ergebnisse im Kampf gegen die Krankheiten und die gezielte Hinführung zum Kauf von Arzneimitteln, im Falle der Depression von den bekannten Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI und MAO-Hemmern).
In der Novemberausgabe widmet das Blatt aber ganze 9 Seiten dem Thema Depression, bei dem nur die letzte Seite (S.19) endlich den erwarteten Hinweis gibt – erteilt von Professor Dr. Andreas Meyer-Lindenberg aus Mannheim, unbesorgt die bekannten arzneilichen Antidepressiva zu einzunehmen.
Augenscheinlich ganz uneigennützig weit die Zeitung in einem kleinen Kästchen auf S. 14 sogar darauf hin, dass Sonnenlicht tagesperiodische Rhythmen im Körper steuere, die auch Stimmung und Antrieb modulieren. Dazu hätte es sich aber gelohnt,
- auf die Rolle des Wach- und Schlafkontrollhormons Serotonin einzugehen, das neben dem allgemeinen Wohlbefinden auch den sog. zirkadianen Lebensrhythmus steuert,
- ferner, ob man nun im Winter die Sonne suchen soll und ob auch eine Sonnenbank hilft,
- wie es sich mit der Zeitverschiebung beim Flug verhält,
- und was uns das sagt für die Arbeit im Schichtbetrieb, besonders die Nachtschicht?
Wenn die Zeitung schon weiß, wie wichtig der Botenstoff Serotonin für den Erhalt der psychischen Balance im ganzen Hirngeschehen ist, warum schreibt sie nichts darüber, dass sich dieser Stoff auf körpereigene Weise durch intensive körperliche Belastung (Belastungskontrolle) oder einen starken Verstoffwechslungsreiz (Esskontrolle) ganz einfach und ohne riskante Medikamente locken lässt? Weiß man davon nichts oder will man es nicht wissen?
Es gibt aber Grund genug, der Apothekenumschau für die Septemberausgabe 2013 dankbar zu sein, schon wegen des lesenswerten Beitrags über die Behandlung der Depression in der Geschichte bis hin zur heutigen Filmkultur durch den Kasseler Psychologen und Psychoanalytiker Dr. Timo Storck.
Storck stellt die interessante Frage, ob Trauer und Melancholie nicht zum normalen Gefühlsspektrum gehören. Diese Phänomene sind weder selbst krankhaft, noch sind sie die Basis für pathologisches Verhalten. Heute nehmen manche Psychiater schon das Vorliegen einer psychischen Krankheit an, wenn ein vom Leben gebeutelter Mensch im Dauertief von länger als zwei Wochen steckt. Früher gab es das allgemein akzeptierte Trauerjahr! So wie unsere Gesellschaft bei Kindern, die nicht auf Kommando funktionieren, keine Geduld hat, die Entwicklung abzuwarten und mit Psychopharmaka gegenarbeitet, so kann jedermann im Falle längerer Zeit großer Verzweiflung das Schicksal von Gustl Mollath treffen.
Storck analysiert die Situation des von Tommy Lee Jones gespielten altersmüden Sheriffs im Film „No Country for old men“ des Regisseurs Ethan Coen. Er erinnert daran, dass man schon im Altertum die Melancholie als normalen Ausdruck des Konflikts zwischen dem Individuum und den Zwängen der Natur, wie Alter und Tod, verstanden hätte. Er meint, dass dies mindestens zum Teil bestätigt würde durch die Erkenntnisse der Hirnforschung und klinischer Beobachtungen die zeigten, dass gedrückte Stimmung häufig eine direkte „neurobiologische Folge“ von Alterungs- oder Krankheitsprozessen sei.
Da allerdings vermag ich Storck nicht zu folgen. Neurobiologisch nachteilige Zustände können den Menschen das ganze Leben hindurch treffen, ganz besonders im Kleinkindalter und in der Adoleszenz. In diesen frühen Jahren ist der Mensch psychisch und neurobiologisch viel instabiler als später. Sehen Sie sich gut versorgte 90jährige Menschen an: sie sind seltener krank als junge Leute, die sich falsch ernähren und unklug verhalten!
Auch zu den angesprochenen neurobiologischen Zusammenhängen ist in der Septemberausgabe der Apotheken-Umschau Interessantes zu finden, und zwar von Professor Dr. Andreas Meyer-Lindenberg.
In einem Schaubild wird gezeigt, wie die Wirkungen der Gehirnbotenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin sich überlappen und gemeinsam eine stabile Gefühlsverarbeitung im Gehirn möglich machen. Fehlt Noradrenalin, sinkt die Aufmerksamkeit. Fehlt Dopamin, lässt der Antrieb nach. Bei Serotoninmangel schließlich verschlechtert sich die Stimmung.
Dieses einem Demokratiemodell nachempfundene Bild entspricht nicht den weitergehenden Informationen aus der Endokrinologie, die im Serotonin das Schlüssel- und Modulationshormon ausgemacht hat, das den Einsatz all der anderen zentralnervösen Hormone, auch Adrenalin, Cortisol, Testosteron, Melatonin und Gaba steuert. Stand des Wissens ist, dass alle anderen Neurotransmitter sich in ihrer Arbeit kaum auf andere Botenstoffe beziehen – außer auf Serotonin. Serotonin dagegen unterhält zu allen von ihnen die Verbindung. Alle Gehirnbotenstoffe sind unverzichtbar. In ihrem Aufbau und ihrer Ausschüttung sind sie aber abhängig vom Serotonin, das der wahre „Regler aller Regler“ ist, den man ursprünglich – ganz zu Unrecht – im Melatonin sah.